Alles über Elfen (German Edition)
einen oder anderen Waldspaziergang gesammelt haben. Die Wälder unserer Tage stellen keine echte Wildnis im eigentlichen Sinn mehr dar, in die sich unsere Vorfahren nicht zu Zwecken der Erholung und Erbauung an der Schönheit der Natur vorwagten, sondern aus schierer Notwendigkeit. Selbst in den Resten der alten Wälder ist heutzutage die Chance, sich in ihnen dauerhaft zu verirren, dank diverser technischer Hilfsmittel relativ gering.
In jenen Tagen, als Menschen und Elfen zum ersten Mal miteinander in Kontakt gerieten, war das noch anders. Die Wälder waren dichter, und in ihnen herrschte selbst bei Tag gedämpftes Licht (der Begriff »Lichtung« kommt nicht von ungefähr). Die Zahl von Tieren, die im Wald lebten und einem Menschen in bestimmten Situationen sehr gefährlich werden konnten, war um ein Vielfaches höher, und man braucht in diesem Zusammenhang nicht einmal Bären und Wölfe heraufzubeschwören. Auch Pflanzenfresser von beachtlicher Größe – Wisente, Auerochsen, Tarpane – streiften umher, ganz zu schweigen von Räubern, die auf zwei Beinen gingen.
Der Wald war indes nicht nur bedrohlich. Man konnte darin auf allerlei Anblicke treffen, die Anlass zum Staunen und Wundern boten. Pilze, die in Kreisen aus dem reichen Boden sprossen. Merkwürdige Auswüchse an und in der Rinde von Ästen und Bäumen, die auf sonderbare Weise an Gesichter gemahnten. Von Moos überzogene Steine, die den Eindruck erweckten, als wären sie einmal vor langer Zeit absichtlich an den Stellen platziert worden, an denen man auf sie traf, oder die Spuren von Behau oder alte, unergründliche Zeichen trugen, wenn man ihre Oberfläche freikratzte. Und inmitten dieses verwunschenen Ortes waren die Elfen zu Hause, die man oft nur als huschenden Schatten aus den Augenwinkeln oder als fernes Rascheln wahrnahm. Die Menschen, die früher in die Wälder hineingingen, müssen oft gespürt haben, dass sie in ein Reich eindrangen, das nicht das ihre war. Ihnen muss bewusst gewesen sein, dass sie eine Grenze überschritten.
In den ältesten Berichten über Elfen genauso wie in den Arbeiten jüngerer Elfologen fällt auf, dass diese Grenze sehr häufig eine physisch fassbare ist, die den Eintritt in das Territorium, welches von den Elfen beansprucht wird, klar markiert. Wehe dem, der nicht um sie weiß, denn wer auf elfisches Gebiet gerät, ohne etwas davon zu ahnen, bezahlt dafür oft einen hohen Preis. Die genaue Erscheinungsform besagter Grenze ist dabei höchst variabel: In einigen Fällen ist sie ein Fluss (wie etwa bei Tolkiens Düsterwald, wo das Gewässer zusätzlich die bemerkenswerte magische Eigenart besitzt, jeden in tiefen Schlaf fallen zu lassen, der mit ihm in Berührung kommt). [Plischke: Das ist vor allem deshalb so bemerkenswert, weil Elfen symbolisch mit der Welt der Träume und der Grenze zwischen Wachen und Schlafen verbunden sind. Christiansen: Ich glaube, dazu wollte Kollege Wolf in einem späteren Kapitel noch ein paar Worte verlieren] Auch bestimmte auffällige Steinformationen werden häufig als Tore in Elfenreiche genannt, wobei bei ihnen die »Schwelle« zwischen zwei »Pfeilern« die Trennlinie kennzeichnet. Weitere Spielarten, die mehr als einmal Erwähnung finden, sind dichte und bisweilen sehr dornige Hecken, durch die man sich zwängen muss, um zum Schönen Volk zu gelangen, beziehungsweise mannsgroße Baumlöcher oder Wasserfälle, durch die der freiwillige oder unfreiwillige Besucher hindurchtritt, um sich anschließend unter Elfen wiederzufinden.
Sowohl diese Betonung einer Grenze als auch der Umstand, dass das Land dahinter in vielerlei Hinsicht gern so fremdartig scheint – von bunten Lichtern, die über den Wipfeln der Bäume schweben, bis hin zu sonderbaren Klangphänomenen wie einem feinen, hellen Sirren in der Luft –, haben unter Elfologen eine aufsehenerregende Theorie genährt. Ein Wort zur Warnung: Sie hört sich zunächst abstrus an, ist jedoch bei näherer Betrachtung und einer gewissen Offenheit für das schier Undenkbare nicht so einfach beiseite zu wischen. [Christiansen: Himmel, hilf! Ich habe jetzt schon Angst! Was verkauft er uns als Nächstes? Heilende Steine, die er persönlich bei Vollmond gesammelt hat?]
Wir gehen üblicherweise davon aus, dass wir uns eine Welt mit den Elfen teilen. Doch was, wenn wir in Wahrheit in verschiedenen Welten oder Daseinsebenen beheimatet sind, die sich lediglich an bestimmten Orten oder Punkten überschneiden? Wenn die Welt der Elfen tatsächlich
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