Alles über Sally
Schön war es trotzdem, ein auf schlichte Art kostbarer Moment.
Die Wassermelone knackte, als Emma sie mit einem langen Messer am Terrassentisch auseinanderschnitt, ein paar Krähen kreisten hoch oben im unversehrten Blau über dem Kongressbad, das bald Feierabend machen würde. Aus der Nachbarschaft führte der Wind einen brenzligen, von Grillfett durchsetzten Geruch heran.
Fanni ging zu ihrem Vater, Erik musste sich zu ihr hinunterbeugen für das, was sie ihm sagen wollte. Sie flüsterteihm ins Ohr und drückte ihm gleichzeitig ihre Geldbörse in die Hand.
Für alle vernehmlich sagte Erik, er lege die Geldbörse zu Hause in Fannis Schreibtisch, dort sei sie vor Diebstahl sicher. Er zwinkerte in die Runde. Dann sagte er, man solle seinen Besuch nur als kurzen Abstecher deuten, er sei schon wieder weg. In diesem Moment kam auch Alfred aus dem Haus, Alfred aus Schenkenfelden, wie Sally ihn nannte, wenn sie schlecht auf ihn zu sprechen war. Ein Tropfen Wasser hing ihm am Kinn, weil er sich das Gesicht gewaschen hatte.
Emma verteilte Melonenschnitze, alle griffen zu, nur Erik nicht. Sein Körper wirkte hager im Vergleich zu Alfreds, kleiner bei etwa gleicher Größe, jungenhafter und unberechenbarer. Etwas Abgründiges war an ihm, als würde sein schmaler Körper durch engere Löcher schlüpfen können und deshalb für Heimlichkeiten besser geeignet sein.
Alfred sagte zu Erik:
»Was am besten gedeiht bei Hitze, sind Phantasie, Aggression, Unvernunft, Faulheit und Lust. Soll ich dir unter diesem Aspekt einen Überblick über unsere Familie geben?«
Für einen Augenblick war es still, gleich darauf hörte man Emma in einen Melonenschnitz beißen. Über den Rand des roten Fruchtfleisches hinweg leuchtete die Neugier aus ihren grünen Augen. Fanni spuckte einige Kerne in den Rasen. Sally beobachtete Erik, er schaute entsetzt auf seine Tochter, ohne sie zu meinen. Fanni war ganz versunken in ihre kleine Aufgabe, das Fleisch der Melone systematisch abzunagen.
Hatte Alfred einen sechsten Sinn? Huhhh, das wäre ganz etwas Neues und käme ungelegen.
»Ich hoffe sehr, es ist bei allen die Faulheit«, sagte Erik. Er zog die Brauen hoch. »Bei Fanni Unhöflichkeit. Vermutlich spuckt sie ihre Kerne deshalb so laut in der Gegend herum, weil sie erreichen will, dass ich das Feld räume. Als Vater störe ich das Bild.«
Sein Schatten zitterte auf dem Rasen. Erik tat so, als hätte er den Faden verloren, und nach einigen Allerweltsbemerkungen ging er zurück zum Wagen. Im Umwenden winkte er der Gruppe zu, ein sehnsüchtiges Strecken von Sallys Nervenenden bewirkte, dass sich der Flaum auf ihren Unterarmen bewegte.
Als Alice eine Stunde später zwei Säcke mit ausgemusterter Kleidung hinter die Haustür stellte und sagte, jemand solle die Säcke bei nächster Gelegenheit in eine Sammelbox werfen, ließ Sally es ihr durchgehen. Zum Abendessen forderte Alice einen Rindfleischsalat, Sally willigte ein und stellte bereit, was nötig war. Da bemängelte Alice, dass Sally Mayonnaise aus dem Glas nehmen wollte, anstatt selber eine zu machen. Total daneben. Jetzt ließ Sally sie nicht mehr so einfach davonkommen, Herumlungern und Maulen und sich für alles andere zu gut halten, das versetzte sie in Wut. Ein Wort gab das andere, am Ende bekam Alice von Sally Mangel an sozialem Empfinden vorgeworfen, aber das sei ja nicht überraschend bei jemanden, dessen kulturelles Bewusstsein sich auf Dinge wie selbstgemachte Mayonnaise und das Sammeln von Hotelseifen beschränke.
Alice schluckte schwer. Im Einstecken war sie, wenn sie mit Sally stritt, ganz gut, das musste man ihr lassen. Aber die diesmalige Dosis war offenbar auch für sie zu hoch. Innerlich kochend sagte sie, Sally solle nicht die Heilige spielen mit der Hand von Erik Aulich am Arsch.
Der Hieb saß. Sallys Herz klopfte, und mit ungewöhnlicher Schnelligkeit wirbelten überfallsartige Halbgedanken durch ihren Kopf – – Alice muss es vom Fenster aus, herunterspielen oder leugnen –
»Sag, spinnst du? Was redest du da?!« sagte Sally erschrocken.
»Wofür hat man Augen im Kopf?« erwiderte Alice.
»Bestimmt nicht dafür. Dir piepst’s wohl!«
»Ich seh doch keine Gespenster, Mama.«
»Scheinbar doch. Was soll ich auf so einen Blödsinn sagen?«
»Ich habe es ganz deutlich gesehen. Habt ihr was miteinander?«
»Alice, du träumst.«
»Du lügst.«
»Ich lüge nicht. Spinnst du? Wie redest du mit deiner Mutter?«
»Und wie du lügst!« sagte Alice.
Ȇberhaupt
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