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Alles über Sally

Alles über Sally

Titel: Alles über Sally Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arno Geiger
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aufgewacht, zu spät für die Medikamente. Diesmal hatte er sich mit der Reinschrift des Amulettkästchen-Artikels für Stuttgart wach gehalten. Sally längst im Bett, er in der Küche am heftigen Tippen, das Farbband gab nicht mehr viel her, Klingeln der Randglocke. Später war ihm das Einschlafen schwergefallen, die mantelknopfgroßen Pillen hätte er beinahe nicht hinuntergebracht, dazu die Grübelei wegen seiner finanziellen Situation, er sackte immer weiter ab. Ehe die Museen in Wien und Berlin ihre Außenstände beglichen, war er längst gepfändet. Im Halbschlaf hatten ihn Zahlen geritten, er hatte imaginäre Briefe an seine Tanten und seine Großmutter verfasst, in denen er ihnen in die Geldbörsen schielte. Unglücklicherweise bezweifelten die dörflichen Damen die Ehrbarkeit seiner Kairoer Arbeit und glaubten, er bringe sein Geld mit Drogen durch. Wie es aussah, war er gezwungen, Sally zu bitten, ihm aus der Klemme zu helfen, seines Wissens war sie ebenfalls blank.
    »Kommst du?« fragte sie. Sie küsste ihn auf den Nacken, ihre Brüste streiften über seinen Rücken. Dann ging sie zum Fenster und öffnete es, um die vom Schlaf verbrauchteLuft zu erneuern. Vom Delta kamen frische Fuhren mit einer leichten Brise heran, der intime Hauch des Nahen Ostens strich über Sallys Gesicht. Und der Verkehr schrie: Ich auch! Ich auch! Das Jaulen, Röhren und Kreischen sprang sie an, und mit den Geräuschen frische Gerüche von Brot, Dung, Holzfeuern und aromatisierten Wasserpfeifen.
    Einen Moment lang blieb Sally im offenen Fenster stehen, sie spürte die erste Sonnenwärme und kriegte Lust, vor Glück zu schreien. Es war nicht schwer, sich in dieser Stadt wohl zu fühlen. In Wien liebte Sally ihre Freunde und noch anderthalb Menschen. Hier liebte sie das Leben.
    Es war Anfang 1977, Sally befand sich in ihrem einundzwanzigsten, Alfred in seinem sechsundzwanzigsten Lebensjahr. Er wohnte im Stadtteil Aguza in einer wenig befahrenen Seitengasse der Sharia al-Nil, wo vom Balkon aus zur linken Seite ein Stück des Nils schimmerte und dem Hausbesitzer mit wechselnden Flussfarben erhöhte Mietgewinne sicherte. Die Wohnung war schön gelegen, für hiesige Verhältnisse nicht übertrieben laut, mit nur der üblichen Menge an ägyptischem Staub und ziemlich vielen Fliegen. Aus einem Lüftungsgitter unterhalb des Balkons dampfte schon am Morgen die Abluft einer Restaurantküche und verbreitete Essensgeruch. Das zog die Fliegen an. Leider war das nicht das größte Problem in der Wohnung. Als sehr viel lästiger als die Fliegen erwies sich der undichte Abfluss der Dusche. Unter dem Bad lag das Zimmer des Hausmeisters, das Wasser ging durch die Decke und tropfte genau auf sein Bett.
    Das ging seit Wochen so. Alfred hatte große Mühe gehabt,einen Installateur aufzutreiben, ewiges Warten, Nachhaken, Vertröstungen, dann, eines schönen Tages, war der Mann unangekündigt abends um halb neun gekommen, hatte einige Fliesen eingeschlagen, ein Rohr ausgetauscht, alles schmutzig gemacht und gesagt, der Schaden sei behoben.
    Am nächsten Morgen läutete es an der Tür, es war der Hausmeister, der sagte, das Wasser tropfe weiterhin auf sein Bett. Von da an läutete es jeden Morgen pünktlich um halb acht für immer dieselbe schlechte Nachricht. Plötzlich stoppte das Durchsickern des Wassers von selbst, aber nur für zwei Tage, dann ging es wieder von vorne los. Jedes Mal, wenn Alfred die Türglocke hörte, wurde er von Panik ergriffen, es könnte Am Abdon sein, so hieß der Hausmeister.
    Dass eine dermaßen kleine und dumme Sache Alfred so durcheinanderbrachte, war erstaunlich.
    Alfred versuchte, den Hausmeister mit seinen eigenen Waffen zu schlagen und klopfte bereits um fünf vor halb acht bei ihm an, um sich nach dem Stand der Dinge zu erkundigen. Diese Strategie erwies sich als wirkungsvoll, denn so signalisierte Alfred, dass er Am Abdon nicht vergessen hatte.
    Es kam ein anderer Installateur, zerschlug erneut ein paar Fliesen, bohrte ein Loch durch die Decke auf der Suche nach dem Leck, und von da an gab es eine Art Funkverbindung zwischen dem Zimmer des Hausmeisters und Alfreds Bad. Wenn Sally oder Alfred das Bad benutzten, konnten sie alles hören, was im Hausmeisterzimmer vor sich ging. Das Radio, die Bemühungen Am Abdons, wenner über seiner Frau war, die Gespräche mit seinen religiösen Freunden. Das war seltsam und verrückt, weil es klang, als tönten die Stimmen aus der Unterwelt der Geister herauf. Der Hausmeister und seine

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