Alles über Sally
Freunde redeten über das gerechte Wirken Gottes, über die Kriegslust des kapitalistischen Diebsgesindels und darüber, dass Ägypten die einzige zivilisierte Gemeinschaft der Erde sei.
»Ich dachte, das ist Österreich«, flüsterte Alfred spöttisch.
Wenn Sally etwas nicht verstand, weil sie im Arabischen nicht ausreichend zu Hause war, fungierte Alfred als Übersetzer. Bei besonders frommen Standpunkten schüttelte sich Sally entsetzt mit ihrem gesteigerten Realitätsbewusstsein des neuen und aufgeklärten Menschen. Ihr fehlte ein wenig der Respekt vor Menschen, die an Märchen glaubten. Aber am unangenehmsten war, wenn im Zimmer des Hausmeisters die schlechte Arbeit des Installateurs diskutiert wurde. Dann fielen Schimpfwörter, die nicht sehr nobel waren. Und obwohl sie gegen den Installateur gerichtet waren, fühlten sich Alfred und Sally angesprochen.
Sally fragte sich, was umgekehrt der Hausmeister aus Alfreds Badezimmer hörte. Sie dachte, es ist egal, solange er nichts sehen kann. Trotzdem fühlte sie sich beobachtet und mochte es, wenn Alfred sie zum Duschen begleitete. Alfred kam diesem Wunsch gerne nach. Sallys Nacktheit war für ihn immer noch neu, wie alles, was mit ihr zu tun hatte. Am liebsten wäre er ständig im Kreis um sie herumgegangen wie ein Schneider, denn eine so schöne und interessante Frau hatte er bisher nicht gekannt, und wenn, dann war sie in Begleitung gewesen, nicht nackt bei ihm.Er selber verwendete im Badezimmer immer öfter Ohrenstöpsel. Nach mehr als zwei Wochen hatte er es satt, die frommen Sprüche zu hören, die der Hausmeister und seine Freunde wechselten. Für Alfred klangen sie doppelt herausfordernd, weil er als Kind religiös gewesen war, mit Gott als absoluter Sinngebung seines Lebens.
Im Moment stagnierte die Badezimmer-Saga. Die undichte Stelle schien auf mysteriöse Weise gestopft, aber ganz sicher war sich niemand, denn auch der zweite Installateur hatte nichts anderes getan, als Fliesen zu zerschlagen und den Fußboden aufzustemmen. Die Sache blieb rätselhaft. Deshalb wollten Sally und Alfred nichts überstürzen und lieber zuwarten, bis der Installateur zurückgekommen war und das Loch im Fußboden wieder geschlossen hatte. Solange das nicht geschehen war, stellten sie sich während des Duschens in eine gelbe Waschbütte aus Plastik, mit nur leicht aufgedrehtem Wasser, und die Bütte trugen sie in die Küche, wo sie das Wasser in die Abwasch schütteten. Dadurch herrschte vorläufig Friede zwischen oben und unten. Die Decke trocknete in der Winterluft auf, jetzt löste sich allerdings der Verputz und fiel auf Am Abdon, während er schlief. Angeklingelt hatte er deswegen noch nicht, er teilte es regelmäßig mit, wenn er Alfred oder Sally auf der Treppe traf. Sie bewegten sich im Haus wie Verbrecher, schlüpften möglichst ungesehen raus und rein, damit Am Abdon sie nicht einfangen und sich bei ihnen beklagen konnte.
Als Sally einem englischen Studienkollegen von ihrem Ärger erzählte, sagte er, das sei nichts gegen ihn, er müsse jedes Mal, wenn er die Toilette spülen wolle, auf eine Leiterklettern, mit der Hand in den Wasserkasten greifen und eine Stange bewegen, um das Abrinnen des Wassers zu stoppen. Und wenn er sich bei seiner Vermieterin darüber beschwere und sie darum bitte, die Spülung flicken zu lassen, sage sie:
»Was erwarten Sie bei dem Preis, den Sie für die Wohnung bezahlen?«
Wie viel das sei, fragte Sally. Dreihundert ägyptische Pfund, sagte der Engländer – nicht zu fassen. Alfred zahlte achtzig, Sally fünfundvierzig für ein Zimmer in Bulaq in einer Wohngemeinschaft mit einem libanesischen Flüchtlingspaar. Sally ging dort so gut wie nicht mehr hin, weil sie beim Mieten vergessen hatte, auf dem Bett Probe zu liegen. Die Schranktür, die sie schon öfter abgeschraubt und unter die Matratze gelegt hatte, war beim Nachhausekommen immer wieder an ihren Platz montiert.
Alfred brachte die Waschbütte zurück, schon ziemlich geübt im Tragen und Ausleeren. Mittlerweile hatte Sally ihren Unterleib eingeseift, sie stieg in die Bütte und drehte den Wasserhahn wieder auf. Rittlings auf dem Stuhl, den rechten Ellbogen auf die Lehne gestützt, Kinn in der Hand, schaute Alfred ihr beim Abspülen zu. Sein Gesicht schien zu glühen vor Freude und Verwunderung über das, was er sah. Er besaß eine unstillbare Neugier auf alles, was Sally tat und dachte. Er schaute ihren jungen Körper auf Vorrat an, er wollte dieses Mädchen unbedingt heiraten,
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