Alles über Sally
verlieben? Und wenn doch, wurde es immer komplizierter –.
Vor zwei Tagen hatte sie Nadja getroffen. Sie waren einander auf der Straße begegnet, abends vor der Parfümerie am Elterleinplatz. Nadja war plötzlich vor ihrgestanden, wie aus dem Boden gewachsen, lustlos und bleich. Nachdem Nadja bei dem Gespräch in der Küche völlig enthemmt gewesen war, gab sie sich diesmal nüchtern, wie jemand, der versucht, die Phantasievorstellung von sich selbst als kontrollierter Mensch zu verwirklichen. Sie leitete ihre Sätze mit Wendungen ein, die Sachlichkeit suggerieren sollten, unter ernsthaften Menschen … wenn man seinen Kopf benutzt … Doch alles in allem blieb es bei der Grundaussage, dass sie Erik absolut nichts Gutes wünschte. Seit dem letzten Treffen war es nicht sonderlich gut für sie gelaufen, das nahm sie Erik übel. Keine Überraschung. Sie sagte, niemand habe erwartet, dass sich die Russin auf die Seite rollen und tot stellen werde, man könne ihr keinen Vorwurf machen. Erik hingegen sehr wohl. Sonderlich anständig verhalte er sich nicht.
»Wie er sich dabei fühlt, würde mich interessieren«, sagte Nadja ruhig. »Ist er noch auf Wolke sieben oder beginnt er bereits nachzudenken?«
»Dann glaubst du nicht mehr, dass er die andere Frau erfunden hat?« fragte Sally. Sie selber hatte das zweifelhafte Vergnügen gehabt, den Glanz in seinen Augen zu sehen, wenn er von Lena redete. Ein so guter Schauspieler war er nicht.
»Es wäre eine zu schöne Geschichte, um ausgerechnet von Erik erfunden zu sein«, sagte Nadja. »Trotzdem, ich denke viel darüber nach. So wie man Wasser trinkt, um den Bauch zu füllen.«
»Ja, kann sein, es lenkt ab«, sagte Sally.
»Aber es ändert nichts an den Tatsachen, außer vielleichtdaran, wie ich mich fühle«, sagte Nadja. »Nüchtern betrachtet, ist Erik wie die meisten Männer, faul und hilflos. Seine Hemden bügeln? Niemals! Es muss also jemanden geben, der es für ihn macht.«
»Eine Dumme findet sich immer.«
»Ich war auch so eine.«
»Vielleicht wird die Russin nach einiger Zeit feststellen, dass das Zusammenleben mit ihm nicht so idyllisch ist, wie sie es sich im Moment noch vorstellt.«
»Ja, es ist nicht leicht, mit Erik zusammenzuleben. Er ist schon ziemlich festgefahren in der Art, wie er lebt.« Nadja machte eine Pause. Sie bekam ein leeres Gesicht. »Aber natürlich bin ich auch schon ziemlich festgefahren in der Art, wie ich lebe.«
»Du hast doch sicher Pläne?« sagte Sally.
»Kann sein, ich nehme ein Engagement im Ausland an«, antwortete sie lapidar. »Ich habe ein Angebot aus Straßburg.«
»Straßburg!« wiederholte Sally.
»Besser als Wien«, erklärte Nadja und schüttelte sich, als würde sie frösteln. »Selbstmordversuche wegen der Liebe, Besäufnisse wegen der Liebe und Schreikrämpfe wegen der Liebe. Das ist hier an der Tagesordnung. Gestern musste fünf Minuten vor Beginn vor ausverkauftem Haus die Vorstellung abgesagt werden, weil sich eine Sängerin wegen dem Dirigenten in hysterischen Krämpfen gewälzt hat. Das nimmt sogar das Wiener Publikum übel.«
»Du wirst es vermissen.«
»Ich werde es ganz bestimmt nicht vermissen!«
»Straßburg stellt man sich jedenfalls ruhiger vor.«
»Dort könnte Fanni ein wenig Französisch lernen.«
»Das würde für Erik den Kontakt zu ihr erschweren«, stellte Sally fest. »Das träfe ihn hart.«
»Das hätte er sich früher überlegen müssen, bevor er einen solchen Blödsinn baut.«
»Ja, so gesehen geschieht es ihm recht.«
»Und wenn ihn die Russin sitzenlässt«, sagte Nadja in einem leiseren Tonfall. »Ich stelle mir vor, wie es für ihn ist, wenn er mutterseelenallein in der Wilhelminenstraße lebt. Heimkommen, und niemand ist da, kein Essen gekocht, keine Unterhaltung durch die Kinder. Den Einkauf muss er selber besorgen, und die schmutzigen Hemden bringt er in die Putzerei. Und die Abende sind lang, weißt du, Sally, da wird mehr Wein getrunken, als einem guttut. Und vielleicht wird auch so manche Zigarette geraucht. Ich glaube, das ist ziemlich realistisch. Mein Gefühl sagt mir, dass er grausam einfahren wird. Er hätte sein Gehirn früher einschalten sollen. Es gibt ein böses Erwachen. Na ja, nur meine bescheidene Meinung.«
»Ob ihn das zum Umdenken bringen wird?«
»Wen interessiert es?«
»Ja, wen interessiert es«, wiederholte Sally.
Mich vielleicht? Wo es so aussieht, als werde ich schwerlich eine Rolle spielen in diesem Ende? Das dachte sie. Es ist, als wäre ich ein
Weitere Kostenlose Bücher