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Alles über Sally

Alles über Sally

Titel: Alles über Sally Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arno Geiger
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bescheidenes Trinkgeld, das war’s, Ende, und weiter mit der Geschichte.
    Die Trauergesellschaft zerstreute sich. Sally hatte ein Gefühl des Ungenügens, weil sie den Angehörigen kondoliert, es aber nicht fertiggebracht hatte, etwas Freundliches zu sagen. Bei der Lueger-Kirche blieb sie mit den Lehrerkollegen noch einige Minuten stehen, sie waren alle noch nicht wieder ausreichend bewegungsfähig für die irdische Weihnachtswelt jenseits der Friedhofsmauern, für das ganze abgeschmackte Geklingel.
    Nur die eine Kollegin, die dafür bekannt war, dass sie kein Blatt vor den Mund nahm, hatte offenbar schon wieder ausreichend Boden unter den Füßen. Sie fragte,ob Sally mit Pomossel nähergewesen sei, das hieß, durch die Blume gesagt: Ob sie mit ihm ein Verhältnis gehabt habe.
    »Wie kommst du drauf?!« fragte Sally schniefend.
    »Weil du so geweint hast.«
    Sally zog den Rotz hoch und wischte ihn sich von den Lippen. Ihr Ruf in diesem Punkt stand allem Anschein nach fest, sie ärgerte sich nicht besonders.
    »Bei mir läuft in letzter Zeit alles schief«, sagte sie ratlos. »Da habe ich die Gelegenheit beim Schopf gepackt und mich ausgeheult. Das ist alles.«
    Ihre Kehle schmerzte, und die Rippen fühlten sich nach dem Weinen weich an.
    »Tut mir leid, dass du Kummer hast«, sagte die Kollegin.
    »Danke. Es wird schon wieder«, sagte Sally mit einem matten Lächeln. »Wenn ich die Schnauze voll habe, schließe ich mich einem Zirkus an.«
    Und sie dachte, ich habe überhaupt keine Kontrolle mehr. Nicht dass man je viel hätte, aber so wie jetzt, das ist arg. Und ich mag es nicht. Ich spüre, ich brauche ein kleines Element, das ich kontrollieren kann. Aber was? Ich weiß noch nicht einmal, was ich will. Ich bin komplett unentschlossen.
    Während sie so dachte, tauschten die anderen die üblichen Reminiszenzen aus. Die Kollegin sagte, dass Pomossel ein tolles Gedächtnis gehabt habe und als Student Österreichischer Meister im Maschinschreiben gewesen sei, von der Weltöffentlichkeit ignoriert. Lauter solche Sachen.
    »Das wusste ich nicht.«
    Sally sah die Klassenfotos vor sich, die sie in Pomossels Schrank gefunden hatte, mit seiner sehr ausdrucksstarken jungen und langsam älter werdenden Gestalt, immer am linken Rand, vom Betrachter aus gesehen, einmal mit einer Schieberkappe, einmal mit einer Zigarette im Mund. Sehr eindrucksvoll. Und schlau. Gerissen.
    Aber beim Wettbewerb während der vergangenen Matura, wer mehr Schreibpapier zustellt, hatte er gegen Sally beide Male verloren, dieser Unglücksmensch.
    »Rätselhaft bleibt, wie er am Ende so um den Verstand kommen konnte«, sagte sie vorwurfsvoll. »Ein bisschen um den Verstand kommen, meinetwegen, aber nicht so.«
    »Das hätte niemand erwartet.«
    »Ja, dass man so wegtreiben kann.«
    »Und sich dann aufhängen. Das war in etwa das dümmste, was er tun konnte.«
    Sally ließ einen verlorenen Blick über das riesige Friedhofsareal schweifen, die Rasenflächen mit den Grabsteinen lagen reglos da, die kahlen Bäume sahen aus, als wären sie aus Eisen.
    Und wie leblos die vielen Krähen in den Ästen aussahen!
    »Im Hinblick auf das betroffene Mädchen«, sagte sie. »Ein totales Versagen.«
    Die Kollegin nickte ein wenig betreten.
    »Aber wenn jemand eine solche Abkürzung nimmt«, sagte sie, »steckt vermutlich ein Maß an Verzweiflung dahinter, ich glaube, da bringt es nicht viel, wenn man an die Vernunft appelliert.«
    »Ich fürchte, du hast recht.«
    »Für das Mädchen ist es trotzdem bitter«, bestätigte der junge Religionslehrer, der Sally am offenen Grab getröstet hatte. »Für eine Siebzehnjährige ist das eine harte Nuss zum Knacken.«
    »Ich weiß schon nicht mehr, ob ich Pomossel wirklich gemocht habe«, sagte Sally grimmig. »Vielleicht habe ich ihn nur interessant gefunden.«
    »Jedenfalls nicht alltäglich.«
    »Das kann man wohl sagen.«
    »Ein ziemliches Unikum.«
    Der Kollege zündete sich mit einem eidechsenhäutigen Zippo, das eine viel zu hohe Flamme warf, eine Zigarette an.
    »Wenn stimmt«, sinnierte er, »was Katharine Hepburn in African Queen sagt, dass die Natur zu überwinden das ist, wozu wir auf der Welt sind, hat Pomossel das Ziel eindeutig verfehlt.«
    Sie lachten alle, fidirallala! Für einen Moment war es befreiend. Dabei lachten sie vor allem deshalb, weil sie auch selbst gemeint waren und weil es gleichzeitig so vieles gab, was sie voneinander nicht wussten.
    »Ich muss noch zum Einkaufen«, entschuldigte sich Sally

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