Alles Ware - Glanz und Elend der Kommerzkultur
Produktionsbedingungen der Künste durch die allgemeinen gesellschaftlichen
Produktionsbedingungen mitbestimmt waren. Dies gilt für die verschiedenen Kunstsparten auf unterschiedliche Weise. Manchen
Künsten wurde vom aufstrebenden Bürgertum selbst eine semiautonome Sphäre zugewiesen, was dieses sofort zur Feier seiner selbst
nutzte – man denke nur an die Musikvereine des 19. Jahrhunderts. Ein Maler, beispielsweise, ist wiederum zunächst auf sich
allein gestellt, braucht nicht viel mehr als Leinwand und Farbe. Er wird zwar nichts dagegen haben, wenn es für sein Produkt |59| auch einen Markt gibt, was aber die Käufer auf diesem Markt dazu motiviert, für sein Produkt möglicherweise viel Geld auszugeben,
sind oft andere Beweggründe als das simple Rentabilitätsinteresse, das sie auf anderen Märkten zu Investitionen animiert.
Der Kauf eines Bildes kann gerade auch eine Ablenkung, eine Erholung vom Rentabilitäts- und Kommerzprinzip sein: Kunst als
das, was man sich gönnt. Demgegenüber war die Architektur natürlich immer schon jene Kunstform, auf die die Sachzwänge kapitalistischen
Wirtschaftens am direktesten durchschlugen. Sie ist, bedenken wir nur Grundstückspreise oder die investierten Summen, die
im Spiel sind, die Kunst, die der Ökonomie am nächsten ist. Die Wirtschaft hat zur Architektur, anders als die meisten anderen
Künste, schon länger ein ziemlich unvermitteltes Verhältnis.
Schließlich ist jedes Bauvorhaben eine gute Gelegenheit, ordentliche Mengen Geld regelrecht zu vergraben – die schöne Redensart
»in den Sand setzen« könnte darauf zurückgehen.
Ein Ereignis, das die Kunst- und Architekturwelt zu Beginn des neuen Jahrtausends regelrecht aufwühlte, war die Kooperation
des niederländischen Stararchitekten Rem Koolhaas mit der italienischen Nobelmarke Prada. Vor allem der New Yorker Flagship
Store der Firma, von Koolhaas, seinem Architekturbüro OMA und seinem Think-Tank AMO geplant und realisiert, markierte eine
neue Qualität von Shoppingtempel. Die »Epicenter«, die OMA/AMO für die global agierende italienische Traditionsmarke plante,
sind selbst Teil des »Rebranding« einer lokal verwurzelten Elitemarke zu einem führenden Unternehmen des globalisierten Kulturkonsums
gehobener Sphäre. Der Konsumtempel ist nicht nur ein Schauraum für Güter, die gekauft werden sollen, sondern er verspricht
ein »erweitertes Markenerlebnis«. Die »Shopping |60| Experience«, ist in den einschlägigen Verkündungen des Unternehmens zu lesen, soll Prada als »Brand with a vision« porträtieren,
als eine Marke mit einem »tief gehenden Engagement in einem erweiterten kulturellen Kontext«. Als integrales Element »gegenwärtiger
Lebenswelten«, wird unverhohlen postuliert, ist Shopping eine Erfahrung, in der »Kultur und Konsumismus« zusammenfließen.
Es geht nicht um Verkaufsräume, sondern um die »Aura der Marke«. Filme, Monitore, eine einzige riesige Installation – »Koolhaas
inszeniert für Prada ein jazziges Schaustück aus allen erdenklichen visuellen Formen«, hieß es in einer Rezension der
Neuen Zürcher Zeitung
. Videodisplays sind allgegenwärtig, die Prada in einen breiten kulturellen Kontext stellen: Arbeiten von Medienkünstlern,
Ausschnitte aus Pasolini-Filmen, Videos, die das Geschehen im Backstagebereich während der Fashion Shows zeigen.
Das neue Epizentrum sollte »Individualität und Kunstsinn vermitteln«, schreibt die Wiener Architekturtheoretikerin Anette
Baldauf im renommierten Architekturmagazin
archplus
62 . »Mit seiner Ausstattung signalisiert Prada Kultiviertheit. Die Präsentation der Waren sieht aus wie eine Kunstinstallation
in einem Museum: Hier sind Kleider Kunst und umgekehrt. Prada adressiert seine Kunden als partizipierende Akteure am Shopping-Spektakel
und präsentiert Shopping nicht als eine Form von Entertainment, sondern als künstlerischen Ausdruck ausgeprägter Geschmacksbildung.«
Es ist zunehmend schwierig, Einzelhandel und Kunstgalerie zu unterscheiden. Entscheidend ist auch der Standort in Soho, dem
ebenso legendären wie hippen Viertel in Manhattan. Prada plündert gewissermaßen in einem Akt »parasitären place-making« (Baldauf)
den Bilderfundus des einstigen Avantgardistenviertels.
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Prototyp eines Ladens, der wie eine Galerie aussieht.
Rem Koolhaas’ Prada-Flagship Store in New York
Diese avancierte, spektakuläre Form des Ineinander-Kollabierens von Kunst und Kommerz
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