Alles Ware - Glanz und Elend der Kommerzkultur
sagen. 74 Diese Innenstädte sind die Orte, an denen die globalen Power-Brands ihre »Flagship |72| Stores« platzieren, die nicht nur Feierstätten des Markenimages sind, sondern auch die Fabrikationsorte desselben. So müssen
die globalen Luxusmarken nachgerade an den teuersten Quartieren vertreten sein, weil sie ja eben das zu globalen Luxusmarken
macht (was wiederum die Quartiere erst teuer macht). Keine Main Street ohne die unvermeidlichen Stores von Kenzo, Louis Vuitton,
Prada, Dior. Und die Innenstädte sind nicht nur die Territorien, an denen die Brands präsent sind, sie werden selbst zu »Brand
Zones«. Im internationalen Wettbewerb um Touristen und Investoren müssen die Städte selbst zu Marken mit einem unverwechselbaren
Markenimage werden, zu einem »Brand Statement« aus Stahl, Glas, Beton oder Stein – und manchmal auch aus Fleisch und Blut.
Doch Menschen werden natürlich nur toleriert, sofern sie entweder zahlende Besucher oder einheimische Komparsen sind, die
mit dem Image der Brand Zone harmonieren. Wer herumlungert, wird hinausgewiesen. Straßenmusikanten sind nur so weit akzeptiert,
als sie sich in das Lokalkolorit fügen. Dem tut die Tatsache übrigens keinen Abbruch, dass eine Prise Subkultur, meist am
Rande des städtischen Zentralbereichs, heute ebenso obligatorisch ist – das gehört zum Stadterleben dazu und ist daher im
Stadtmarketing des 21. Jahrhunderts zwingend vorgeschrieben. In jedem Fall verkaufen sich die Städte immer auch selbst und
müssen bedacht sein, ein erlebbarer Ort zu sein, an dem man sich wohlfühlt, an dem sich die Erwartungen des Besuchers erfüllen,
an dem man den Konsum konsumieren kann. Die Werte der Shopping Malls mit ihren sedierten Erlebnissen und der Kontrollierbarkeit
werden auch zu den Werten der Städte. Kurzum: Die Innenstädte definieren sich als Konsumzentren. »Die Straße kann jetzt als
Mall unter freiem Himmel entschlüsselt werden.« (John McMorrough)
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Ist es Kunst? Ist es Werbung?
Schaufenster eines Yves-Saint-Laurent-Shops
|74| Mit dieser Transformation zum »urban experimental retailing« ist die »Innenstadt als korporativer Themenpark mit ihrer scheinbar
perfekten, sozialen Harmonie zur Zugriffsfläche der Mittelschicht geworden. Sie fungiert als ausgedehnte Unterhaltungs- und
Einkaufszone, die primär die Gruppe der Young Urban Professionals bedient. Unabhängig von ihrem konkreten Standort setzen
sich die Zentren nun immer häufiger aus einem standardisierten Set an Franchiseniederlassungen zusammen: McDonalds, GAP, Virgin
Megastore, Tower Music, Barnes and Nobles, Starbucks verwandeln die Stadtzentren in Brandscapes (Markenlandschaften), in denen
›going downtown‹ gleichbedeutend ist mit ›going shopping‹.« 75 Jahrtausende lang hieß die große Menschheitsfrage: »Woher kommen wir? Wohin gehen wir?« Heute heißt die ultimative große
Frage: »Wohin gehen wir shoppen?«
Brand-Stores verklumpen sich zu Brand-Zones, die Stadt wird zum Teil des Markenwerts und selbst zur Marke – die Stadt als
Brand-Zone ist am Ende nichts anderes mehr als ein Ort, an dem »Konsumtion konsumiert« werden kann. 76 Wobei in einem komplizierten Prozess der Osmose die Geschichte einer Stadt, ihr Image in der Brand Zone aufgehen muss. Anders
als die Shopping Mall haben die Innenstädte einen »Standortvorteil« – ihre Aura. Gerade deshalb müssen homöopathische Dosen
von Urbanität gepflegt werden, denn der Besucher der Stadt will ja mit den Gütern, die er in ihr kauft, einen Teil des Images
der Stadt als Brand-Zone erwerben. Shopping in der Innenstadt ist so gesehen nur eine von vielen Varianten des Themen-Shopping.
In diesem Fall: Shopping im Erlebnisraum Stadt, unterhaltend wie ein Spaßbad. Schlussendlich schlägt die Verwandlung von der
Stadt zum Themenpark als Shoppingumgebung, diese Rache der Shopping Mall am Urbanen, auf paradoxe Weise zurück |75| auf die Shopping Malls selbst. Einige Mall-Betreiber ziehen in ihren Einkaufszentren neuerdings Stadt-Kulissen hoch, errichten
einen Themenpark in Gestalt von Städten. »Wir bauen richtige Straßen ein«, berichtete ein Mall-Betreiber aus San José, Kalifornien:
»Wir bauen regelrecht eine Innenstadt nach.« 77
Doch die Rache der Mall an der Stadt folgt auf dem Fuß. Heute werden Shoppingcenter immer häufiger in Citynähe hochgezogen,
was die Innenstädte, die oft gerade erst wieder zum Leben erwacht sind, ein weiteres Mal verödet.
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