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Alles Ware - Glanz und Elend der Kommerzkultur

Titel: Alles Ware - Glanz und Elend der Kommerzkultur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Misik
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Kulisse des Öffentlichen und im privaten Besitz ist, aber sie ist natürlich
     nach allen praktischen Gesichtspunkten ein öffentlicher Raum. Dem tragen mittlerweile auch einige Gerichtsurteile Rechnung,
     etwa die des Höchstgerichtes von New Jersey, das, nachdem die Betreiber der örtlichen Mall eine Bürgerrechtsgruppe am Verteilen
     von Flugblättern gehindert hatten, erkannte, Erstere hätten »vorsätzlich ihr Eigentum in einen öffentlichen Platz, einen öffentlichen
     Versammlungsort verwandelt«, wodurch das Recht auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit auch an diesen »Hauptstraßen unserer
     Zeit« begründet sei. 70 Kurzum: In der Mall dürfe man also genauso demonstrieren wie, sagen wir, am Bahnhofsvorplatz.
     
    Hierzulande sind Demonstrationen in Shopping Malls (noch) verboten. In Wien fordern etwa die Grünen, die Gesetze der Realität
     anzupassen – also dem Umstand, dass die Malls zu wesentlichen öffentlichen Orten geworden sind. Die Ladenbesitzer und Mall-Betreiber
     lehnen das ab. Womöglich verweist aber gerade diese »Meinungs verschiedenheit « auf das Symptomatische, denn beide haben auf ihre Weise recht. Shopping Malls sind Zonen mit
Effekten
des städtischen Lebens – aber deswegen noch lange keine urbanen Räume. In den schein-öffentlichen Räumen »findet eine Reglementierung
     statt. Der als öffentlich wahrgenommene Raum ist in Wirklichkeit ein privater Raum, der geöffnet wird, um – als öffentlicher
     Raum simuliert – ein Kommen und Gehen zu ermöglichen. |68| Dieses Kommen und Gehen wird vom Hausherrn kontrolliert, um nur bestimmten Personen den Zugang zu gewähren oder im Falle eines
     Regelverstoßes einen Verweis auszusprechen. Gleichzeitig aber muss eine Aufenthaltsatmosphäre geschaffen sein, die den Zielen
     des Besitzers entgegenkommt: Es sollte durch Musik und ähnliches eine angenehme entspannte oder anregende Atmosphäre geschaffen
     werden, um zu konsumieren. Das angenehme Verweilen ist daher nur in kommerziellen Zonen erwünscht. Alles ist a priori geplant
     und wird gelenkt. Eine Aneignung oder Umnutzung durch die Passanten kann und darf nicht stattfinden. … auf Stufen darf man
     sich nicht setzen. … Jedes Ding hat seinen Platz.« 71
    In manchen dieser Urban Entertainment Center sind nicht nur »Versammlungen in größeren Gruppen« untersagt, sondern auch »unnötiges
     Herumstarren«, und wer eine Baseballkappe verkehrt herum trägt, wird etwa umgehend von der Plaza des City Walks verwiesen.
     Deswegen hat der Stadttheoretiker Mike Davis die Entertainment-Malls auch »das Architektur-Äquivalent zur Neutronenbombe«
     genannt – »eine Stadt, der alle lebendigen Erfahrungen fehlen«. Mit echten Erlebnissen, bemerkte ein anderer Architekturkritiker,
     habe das so viel zu tun »wie ein Zoo mit dem Leben in der Wildnis«. Eine Formulierung, die übrigens bei aller Wahrheit auch
     zeigt, auf welch unsicherem Boden die Kritik sich bewegt. Denn wo ist denn verbindlich verzeichnet, welche Erlebnisse »echter«
     sind als andere? Weshalb genau ist ein Theaterbesuch »echter« als eine Tour durch Sony-City, warum ist ein Vollrausch aus
     der Eckkneipe ein »echteres« Erlebnis als einer aus dem Millennium-Tower? Ja: Kann man überhaupt sagen, wie ich das selbst
     oben tat, in den Malls würde normales soziales Leben nur simuliert – ist denn die Simulation nicht selbst die Normalität geworden?
    |69| Kulturtheoretisch kann man darüber lange räsonieren – natürlich suggeriert die Vorstellung von »Echtheit« einen Essentialismus,
     der selbst schon Ideologie ist. Schließlich ist Gesellschaft nie Natur, und jede Stadt, die man auch als zu Stein gewordene
     Gesellschaft bezeichnen kann, ist deshalb in einem gewissen Sinne künstlich. Dennoch haben wir keine Schwierigkeiten, eine
     gewachsene Stadt mit urbanen Funktionen, eine Mischung aus historischen und modernen Gebäuden, mit Menschen, die in ihr wohnen,
     als eher echt, ein überdimensioniertes Glitzerkaufhaus, das urbanes Leben nachzuspielen versucht, als eher unecht zu charakterisieren.
     Wenn wir die theoretischen Fallen einmal ignorieren wollen, dann drückt dieser richtige Instinkt wohl Folgendes aus: Als echt
     erscheinen uns mit Recht jene Orte, an denen sich zumindest potenziell gesellschaftliches Leben in seiner Gesamtheit vorstellen
     lässt – wohnen, arbeiten, Geselligkeit und auch die eher dunklen Seiten des Lebens. Dagegen ist das soziale Leben in den Malls
     vom Wunsch nach Beherrschbarkeit,

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