Alles Ware - Glanz und Elend der Kommerzkultur
Konsum und Kaufkraft wird
dann in die Center abgezogen, innerstädtische Läden müssen schließen. In Schwerin, so ergab eine Untersuchung, hat sich der
innerstädtische Ladenleerstand verdoppelt, nachdem ein citynahes Center eröffnete, in Bayreuth erlebten 27 Prozent der Händler
einen »starken«, 39 Prozent einen »spürbar negativen« Einfluss auf ihren Geschäftsgang. 78
Wenn, wie Stuart Hall sagt, »die materielle Welt der Waren und Technologien zutiefst kulturell« 79 ist, dann ist die Shopping Mall tatsächlich der paradigmatische Ort einer solchen »kulturkapitalisierten« Welt, in der am
Ende soziales Leben, Kommunikation gar nicht mehr ohne Vermittlung von Waren vorstellbar ist. So gesehen ist die »Ver-Mallung«
der Städte selbst nur konsequent – und gerade deshalb keine Kleinigkeit. Die Shoppingarchitektur ist die Form, in der sich
der Konsumkapitalismus im Raum materialisiert. Dessen Zugriff auf alles und jeden spiegelt sich in der Totalität der Überformung
des städtischen Lebensraums. »Shopping ist das Medium, mit dem der Markt den Griff auf unsere Räume, Gebäude, Städte, Aktivitäten
und Leben festigt«, schreibt Sze Tsung Leong. Die Materialität der Shoppingarchitektur ist der Ausdruck, »bis zu welchen Maß
die Marktwirtschaft unsere Lebensumwelt, und damit letztlich uns, hergerichtet |76| hat.« 80 Es würde viel zu kurz greifen, zu sagen, dass heute »Shopping (als eine Aktivität) in der Stadt (als einem Platz) stattfindet,
vielmehr gilt, dass die Stadt (als eine Idee) sich in der Shoppingzone (als einem Ort) materialisiert«, erklärt Jon McMorrough:
»Eine aufeinanderfolgende Serie von Prozessen führte dazu, dass Shopping heute Urbanität erst konstituiert.« 81 Kein Wunder, dass schon das grundlegendste Verständnis dafür, was ein öffentlicher Ort ist und was womöglich die Vorzüge
des Öffentlichen gegenüber dem Privatisierten und Kommerzialisierten sein könnten, nahezu verschwindet. Kein Wunder auch,
dass der Bürger streng genommen schon längst »nicht mehr Herr im eigenen Haus«
( Die Zeit
) ist. In Berlin hört ein ganzes Stadtviertel auf den schönen Namen »Sony-Center«, in Hamburg heißt das einstige Volksparkstadion
»AOL-Arena«, in München wurde das neue Stadion, die »Allianz Arena«, von Anfang an als Werbeträger gebaut. Keine Aufführung
in einem Theater, vor der nicht durchgesagt wird, welches Telekommunikationsunternehmen uns den Abend ermöglicht. Man wäre
versucht, zu sagen, dass die Marken die Lebensumwelt der Menschen total kolonisieren, wäre eine solche Formulierung nicht
längst nur beschränkt treffsicher – schließlich behandelt der avancierte Kapitalismus heute die Menschen in Wirklichkeit als
die »Umwelt« des Systems.
Deshalb spricht der US-Theoretiker Fredric Jameson auch von einem »Quantensprung der Entfremdung des täglichen Lebens in der
Stadt« 82 , wobei der Entfremdungsbegriff, so verwendet, gerade nicht die romantische Folie eines ursprünglichen Lebens, etwa inmitten
der Natur, braucht. Nicht das Stadtleben entfremdet, wie das manche nostalgisch-ökologische Kulturpessimisten proklamieren,
sondern das Leben innerhalb von Räumen, auf die die Individuen keinen Einfluss mehr haben. »Aneignung« |77| öffentlicher Räume, schreibt die Frankfurter Philosophin Rahel Jaeggi, »bedeutet mehr, als dass man sie benutzt. ›Zu eigen‹
macht man sie sich, sofern diese von dem, was man in ihnen und mit ihnen tut, geprägt werden, sich durch die aneignende Benutzung
verändern.« 83
Eine gesponserte Welt.
Stadien und ganze Stadtviertel werden an Firmen verkauft.
Die kommerziell genutzten schein-öffentlichen Räume schließen eine solche Aneignung aus und haben überdies Ortseffekte über
die öffentlichen »Rest-Räume«, die nicht kommerziell genutzt sind – letztere werden zu dem Abfall, der nicht privatwirtschaftlich
verwertbar ist, zu einer Art »innerem Afrika«. »Was und wer uninteressant für den privaten Verwertungsraum ist, wird abgeschoben
in den verbleibenden öffentlichen Raum, der nichts anderes als nur noch vernachlässigt wird«, schreibt Guido Brendgens im
Berliner Theorieorgan
Utopiekreativ
. Wer auf dem |78| Wert des Öffentlichen beharrt, gilt als hoffnungslos altmodisch. Dabei haben öffentliche Einrichtungen, selbst wenn sie tatsächlich
grundsätzlich ineffizient und ihre Leistungen schlecht wären, noch immer einige wesentliche Vorteile gegenüber der
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