Alles Ware - Glanz und Elend der Kommerzkultur
nach Kontrollierbarkeit bestimmt. »Es ist wie ein Dolby-Filter, der sich über das Leben
legt: Plötzlich ist das unangenehme Rauschen weg, aber mit ihm auch die Höhen und Tiefen.«
( brand eins
). Malls behaupten etwas, was sie nicht sind. Schon in ihren Namen steckt ein Stück Tatsachenverdrehung. »Arkade, Forum, Kolonnade,
Piazza heißt selbst das, was draußen auf der grünen Wiese am Stadtrand steht«, ätzt
Die Zeit
72 , was urbanes Leben verheiße und es nicht einmal zur Kulissenhaftigkeit bringe. Erbaut sei all dies nach dem »H-Milch-Prinzip:
garantiert keimfrei, geschmacksneutral und homogenisiert«.
Malls haben die Eigenart, überall mehr oder weniger gleich auszusehen, sich gleich anzufühlen, gleich zu schmecken. Man sollte
die Auswirkungen all dessen nicht unterschätzten. |70| Orte prägen. Sie sind eine Schule des Sehens, sie haben Auswirkungen auf den Habitus, ja auf die Physiognomie derer, die sich
in ihnen gewohnheitsmäßig bewegen. Wir orientieren uns an Orten durch Zeichensysteme. Und Zeichensysteme sind nicht nur etwas,
worüber wir verfügen, sondern was über uns verfügt: das Mittelmäßige und Billige, gepaart mit dem immer etwas zu Bunten, immer
einen Dreh zu Grellem der Mall, die Strategien, mit Glitzeroberflächen die Wahrnehmungsschwellen zu überschreiten, nur um
sie immer höher zu treiben. Es ist unnötig, zu sagen, dass all dies nicht ohne Auswirkungen auf die Sinne der Subjekte bleiben
kann. Noch die exquisiteste Mall ist immer auch eine Schule der Stumpfheit.
Die Mall ist aber nicht deshalb der paradigmatische globalisierte Ort, weil sie überall herumsteht, sondern weil sie zum Modell
für alle globalisierten Räume geworden ist – zum Paradigma also für all die Durchgangszonen, in denen man sich recht eigentlich
nicht aufhält, Orte, deren Zweck die permanente Ortsveränderung ist. Wenn man so will: Der Ort der Ortlosigkeit schlechthin.
Flug- und Bahnhöfe sind heute von Malls praktisch ununterscheidbar geworden. Dasselbe gilt für die Eingangsbereiche großer
Krankenhauskomplexe und, mutatis mutandis, die großen Kulturkomplexe von der Art des Wiener Museumsquartiers und überhaupt
die großen Museen, die den internationalen Tourismus anziehen, die mit ihren Shops, manchmal so groß wie Warenhäuser, einen
wesentlichen Teil ihrer Einnahmen bestreiten. Übrigens folgt die Kolonisierung öffentlicher Räume durch privatwirtschaftliche
Shoppingzonen in der Regel auch einer simplen Logik: Weil sich die öffentliche Hand aus budgetären Gründen aus der Finanzierung
des öffentlichen Raumes zurückzieht, suchen die Betreibergesellschaften von Flughäfen, |71| Bahnhöfen, Spitälern und Museen ihr Heil bei den Shops. Zuletzt sorgte für etwas Erstaunen, dass sich in den USA sogar die
größten und einflussreichsten Kirchengemeinden an den Shopping Malls orientieren – diese Mega-Churches bieten Platz für einige
Tausend Gläubige, für ausreichend Parkplätze ist gesorgt, und darüber hinaus ist Rundumbetreuung von Psychoberatung über Haarschnitt
bis zum Fitnesscenter garantiert. Schließlich hat sich auch in Glaubensdingen das kapitalistische Prinzip durchgesetzt: Es
überleben nur die Großen, und selbst die Priester müssen auf die Quote achten.
Die Glaswürfelästhetik der Malls ist die Bühne des Sozialen, durch die sich die Passanten wie Schauspieler bewegen, und weil
sie es von klein auf lernen, haben sie darin bald eine Virtuosität, deren Schattenseite freilich die geistlose Routine ist.
Im System Mall ist der Bewohner des modernen konsumkapitalistischen Universums eben so »zu Hause«, wie man in einer Syntax
zu Hause ist, die man von Kind auf erlernt hat. Die Mall ist denn, wie John McMorrough in einer schönen Wendung schreibt,
eine Sprache wie Latein – »sie wurde zum grundlegenden Ausdruckssystem für verschiedene Ausdrucksweisen« 73 .
Dies wirkt, einer Rache der Geschichte gleich, auch auf die Innenstädte zurück. Markierte das Phänomen der Shopping Mall einstmals
einen Bedeutungsverlust der Innenstädte und eine Abwanderung des Shoppings an die Peripherie, so ist heute der Aufschwung
der Innenstädte zu Konsumzonen und Magneten für den internationalen Tourismus von einer Anverwandlung an die Ästhetik der
Malls geprägt. Dementsprechend behübscht, geschrubbt und verordentlicht sind sie – »sauber, sicher, lustig«, um das mit den
Worten der Wiener Kulturtheoretikerin Anette Baldauf zu
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