Alles Ware - Glanz und Elend der Kommerzkultur
weitsichtigen
Re-Branding-Programms. Zunächst wurde dem Land ein neues Logo verpasst: Juan Mirós »España«-Zeichen, die krakelige aufgehende
Sonne in Gelb, Schwarz und Rot – fröhlich, freundlich, entspannt. »Mirós Sonnensymbol war das Logo eines massiven Marketingprogrammes,
das eng mit nationalem Wandel und Modernisierung verbunden war« 111 , schreibt |112| Wally Olins. Die Olympischen Spiele in Barcelona und die Weltausstellung in Sevilla waren ebenso mächtige Schritte in diesem
Prozess wie der Umbau Bilbaos zu einer Pilgerstätte des globalen Kulturtourismus. Spanien ist deshalb ein frappierendes Beispiel,
weil das Land es schaffte, in ein, zwei Jahrzehnten sein Image völlig umzudrehen. Wirklich erfolgreiche Nationen-Marken benötigen
ein solches umfassendes Re-Branding natürlich in der Regel nicht, sondern allenfalls einen gelegentlichen sanften Relaunch
– so verkaufen sich die USA seit jeher schon erfolgreich als »die Marke Freiheit«. Da heute aber nicht nur Nationen um Investitionen,
Exportanteile und Tourismus konkurrieren, sondern auch Städte und Regionen, kommt kein Landstrich ohne Branding aus. So hat
auch das österreichische Bundesland Tirol nicht nur eine Fahne, sondern auch ein Logo und eine Eigendefinition, die um Begriffe
wie »eigenwillig, freiheitsliebend, echt, stark, stolz« aufgebaut ist. 112
Nationale und regionale Identität wie eine Markenidentität zu behandeln, liegt im Trend einer Zeit, die alles ökonomisiert
und in der die politischen Diskurse den Eindruck erwecken, Gemeinwesen hätten wie Firmen zu funktionieren. Wer noch an den
»Stolz« einer Nation glaubt, wer die eher konservative Auffassung vertritt, diese hätte »eine Natur«, »eine Substanz«, dem
muss das bitter aufstoßen. Aber auch, wer – auf eher linke oder linksliberale Weise – meint, ein Gemeinwesen sei etwas anderes
als eine Firma, ein Bürger etwas anderes als der Mitarbeiter in einem Konzern, dürfte über die neueste Verwandlung von Nationen
in Brands nicht nur glücklich sein. Schließlich kann ich der Nation, der ich als Staatsbürger angehöre, nicht einfach kündigen,
wenn mir ihr Markenimage irgendwann nicht mehr gefallen sollte und mein Charakter zu ihrer Markenpersönlichkeit nicht |113| mehr passt. Andererseits soll man die Sache nicht so eng sehen. Dass der Nationalcharakter selbst die Ausprägung einer Wirtschaftsmarke
annimmt, mag zwar überraschend und verstörend sein, dass wirtschaftliche Marken und Nationalcharakter ein seltsames symbiotisches
Verhältnis eingehen, ist freilich jedem von uns seit jeher vertraut, wenn wir nur einen Augenblick darüber nachdenken.
So repräsentieren bestimmte Waren regelrecht die Nation, aus der sie stammen. Mercedes
ist
geradezu Deutschland, so wie Rolls-Royce immer britisch bleiben wird (der Umstand, dass das Nobelauto heute von BMW produziert
wird, tut dem paradoxerweise keinen Abbruch). »Frank reichs Citroën, Italiens Alfa Romeo, Volkswagen, das sind praktisch Nationalcharaktere auf Rädern«, schreibt Wally Olins. 113 Aber nicht nur Marken, auch ganze Produktsparten würden gleichsam mit einer Nation identifiziert: »Niemand, der bei Trost
ist, würde italienischen Whisky oder schottisches Olivenöl kaufen.« 114
Fremde Nationen, die man früher noch als Bedrohung empfunden oder als exotischen Reiz gesehen hatte, geraten heute zu Erlebnisangeboten,
die man konsumieren kann. Der routinierte Städtebenutzer kann sich fragen: Fühle ich mich heute eher italienisch oder doch
eher französisch aufgelegt? Man macht griechisch Urlaub, isst indisch oder wohnt japanisch (womit weniger die bedrängende
Enge als die strengen Formen gemeint sind). All das ist weder besonders schlimm noch, wie manche im Gegenteil meinen, ein
ausgesprochener zivilisatorischer Fortschritt, etwa in Richtung mehr Kosmopolitismus – allenfalls ein Indiz dafür, wie die
konsumistische Mentalität dazu neigt, alles ihrer Logik entsprechend zu formen. Das gilt in letzter Konsequenz eben auch für
Staaten und Nationalcharaktere – und selbstverständlich auch für die Politik.
|114| Denn der gegenüber verhält sich der Bürger zunehmend auf ähnliche Weise wie der Kunde gegenüber dem Markt.
Auch die Politik wird durch den Konsumismus bis zur Unkenntlichkeit verwandelt. Es ist erstaunlich, was man schon in Wolfgang
Fritz Haugs »Kritik der Warenästhetik« aus dem Jahre 1971 über eine Rede des damaligen deutschen
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