Alles Ware - Glanz und Elend der Kommerzkultur
mit den Gesetzen des Marktes und den Regeln
der Kunst bestens zurecht, äußern sie ihren geschmäcklerischen Ekel mit diesem bestimmten avantgardistischen Gestus, der das
Exquisite der Kunst gegen die Vermassung schützen will und somit selbst von elitärer Schnöseligkeit nicht immer leicht zu
unterscheiden ist. Aber allzu naive Hoffnungen, |104| eine neue kulturökonomische Boheme – oder, wie es auch schon heißt: »digitale Boheme« 106 – unterwandere gleichsam die Wirtschaftswelt und forme sie Richtung Freiheit, Freundlichkeit und »intelligentes Leben« um,
sollten zur Sicherheit mit einem gewissen Maß an Skepsis betrachtet werden.
Die Zonen jenseits der Warenförmigkeit und des Marktes, sie hören tendenziell zu existieren auf. Der Satz, die Kunst sei keine
Ware oder ein »Sonderfall der Ware«, wird im Kulturkapitalismus absurd. Die Pointe des Kulturkapitalismus ist, dass in ihm
beinahe jede Ware tendenziell zu einem »Sonderfall der Ware« wird, jedenfalls ist das die Absicht, die die Brandingstrategien
verfolgen. Wenn aber alle Waren zu Kulturwaren werden, keine Ware eine Ware wie jede andere Ware auch sein soll, dann ist
die Behauptung, die Kunst sei keine Ware wie jede andere, eben zu einer ziemlich sinnlosen geworden. Das hieße nämlich, sie
sei unter allen anderen einzigartigen Konsumgütern ein einzigartiges Konsumgut. »Na geh, echt?«, fragt man in Wien in solchen
Fällen. Die Künstler jedenfalls scheinen für die Implikationen all dessen ein waches Sensorium zu haben und reagieren auf
die einzig logische Weise – indem sie sich verkaufen, wie alle anderen auch.
All dies ist nicht ohne kuriose Volten, und die Verbreitung der Künstlertugend in allen Wirtschaftsbereichen führt nicht nur
zu mehr Freiheit, Selbstverwirklichung und Kreativität, sondern auch zu neuem Stress. Die neuen »Kulturkreativen«, die eigentlich
nichts anderes als kleine Wirtschaftstreibende oder symbolanalytische Angestellte sind, wollen selbst so etwas wie Künstler
sein – das sind sie nicht nur ihrem Selbstbild schuldig, das ist auch für ihre Aufstiegs- und Einkommenschancen notwendig.
Eine Anerkennung und Gratifikation, die sie freilich nur in den allerseltensten Fällen auch nur annähernd erreichen. |105| Die Künstler wiederum versuchen ihren Status als Exklusivgenies gegen die Masse der Durchschnittskreativen und Pseudo-Künstler
abzugrenzen – auch das übrigens eine Operation, die ganz entscheidend für ihren Marktwert ist –, und sie müssen das selbstredend
mit umso schrofferer Distinktionsgeste tun, je ungesicherter dieser Status ist.
Wir sehen also: Im Kulturkapitalismus eröffnen sich neue, weite Felder endloser, ja: kreativer Distinguos.
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|106| 5. Re-Branding of a Nation
Warum heute Staaten zu Marken geworden sind, die ihren Nationalcharakter als Image verkaufen.
Als Deutschland im Sommer 2006 die Fußballweltmeisterschaft austrug, war die Freude riesengroß. Weil die deutsche Mannschaft
unter Trainer Jürgen Klinsmann ganz passabel spielte, freuten sich viele deutsche Männer und Frauen, Junge und Alte, Reiche
und Arme, Alteingesessene und Neueingebürgerte mit ihrer Mannschaft. Sie bemalten sich die Gesichter, kauften sich einen Deutschland-Wimpel
und gingen ins Stadion oder auf die Fan-Meilen, wild entschlossen, viel Spaß zu haben. Darüber, dass deutsche Menschen offenbar
völlig entspannt zu »ihrer« Mannschaft stehen können, freuten sich wiederum ein paar verschwitzte Publizisten, die schon seit
Jahr und Tag darauf gehofft hatten, dass die Deutschen endlich wieder ganz echt patriotisch sein können, wie das normale Nationen
vom Schlage Frankreichs oder Brasiliens auch sind. Diese Autoren waren schon geraume Zeit todtraurig, weil das mit dem Patriotismus
und der Vaterlandsliebe in Deutschland nach Hitler lange nicht so gut kam. Aber sie konnten nichts daran ändern: Patrioten
hat man sich in Deutschland lange als rotgesichtige Männer mit Bürstenhaarschnitt vorgestellt, die meist von überreichem Bierkonsum
auch etwas feucht im Schritt waren. Und jetzt, plötzlich, das: nette Mädels und Burschen mit Dreadlocks, die mit der schwarz-rot-goldenen
Fahne wedeln, und biedere Ministerialbeamte, die ihre Autos patriotisch |107| aufmotzen. Am Parkplatz des Berliner Wirtschaftsministeriums fand sich kaum eine Karosse, auf der nicht ein Deutschland-Wimpel
flatterte. Da konnten die Patriotismus-Fans natürlich nicht an sich
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