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Alles Ware - Glanz und Elend der Kommerzkultur

Titel: Alles Ware - Glanz und Elend der Kommerzkultur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Misik
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diese danach möglichst abgefuckt aussehen
     sollten. Galerien, Modeschuppen, Möbelläden, sie alle mussten, wenn sie denn cool sein wollten, so heruntergekommen wie möglich
     erscheinen – koste es, was es wolle. Ein Laden, der ordentlich verputzt und weiß ausgemalt sowie mit einem simplen Parkettboden
     ausgelegt war – er wäre ein sicherer Kandidat für einen Flop gewesen. Am besten kommen große Räume an, aus denen die Zwischenwände
     herausgeschlagen sind, mit möglichst viel Patina an den Wänden und abgeschabtem Steinwerk oder gar Industrieböden, die mit
     bloßem Auge von unbehandeltem Estrich nicht zu unterscheiden sind. Spätestens zu dieser Zeit hat das Heruntergekommene nicht
     einfach mit dem Aufpolierten konkurriert, sondern schickte sich an, |121| diese Konkurrenz in gewisser Weise zu gewinnen. Heute sehen wahrscheinlich nur deshalb nicht alle Läden aus wie grindige Kneipen
     in besetzten Häusern, weil es sich nicht alle Ladenbesitzer leisten können, ihre Geschäfte derart aufwendig zu Kultläden zu
     trimmen. Eine befreundete Architektin berichtete mir unlängst, sie hätte in einem Fliesenladen folgende Aufschrift gesehen:
     »Kelheimer Steinplatten Neu = 100 € pro m²; Kelheimer Steinplatten gebraucht = 200 € pro m².«
    Was also macht den Reiz des Schäbigen aus? Was ist das Geheimnis des Erfolgs des Heruntergekommenen, über den Kreis rebellischer
     Outcasts hinaus? Was man sicher sagen kann: Das Schäbige ist ein Gut an einer seltsamen Art von Grenze – einerseits kaputt,
     andererseits wertvolles Gut mit Geschichte, was es selten macht und damit zu einem gefragten Gut. Aber es ist eben immer an
     der Schwelle dazu, weggeworfen zu werden. Das Abgegriffene, Abgewetzte, Verbrauchte wird oft durch Neues ersetzt, worauf wir
     ihm sofort auf Trödelmärkten und in Antik-Shops nachrennen. Es bewohnt die Grenze, die den Abfall vom dauerhaften Gut trennt
     – und es ist ein Mysterium, wann und warum ein Produkt von der einen in die andere Kategorie aufsteigt. 119 Nehmen wir nur Autos: Ein scheppernder Ford aus den achtziger Jahren gilt als schrottreif, ein rostiger Citroën aus den Siebzigern
     ist wertvoll. Die meisten Siebziger-Jahre-Bungalows gelten als Architekturmüll, feuchte und baufällige Bauernhöfe dagegen
     sind gefragte Immobilien. Was genau aber unterscheidet den normalen Müll von der Art des »Sonder mülls «, der seine Schäbigkeit hinter sich zu lassen vermag und zur Antiquität, zur Rarität, zum Nostalgieprodukt wird? Alter? Seltenheit?
     Das spielt eine Rolle – aber nicht alles, was alt und selten ist, ist deswegen auch gefragt.
    Die Sache ist kompliziert, auch deshalb, weil im Horizont |122| dieses Themas eine Reihe verschiedener Ding-Kategorien in den Blick kommen, die sich voneinander unterscheiden, deren affektive
     Attraktion aber vergleichbar ist: halb kaputter Plunder, Retrowaren, gediegene Handwerksprodukte, Wertvolles und Kram. Um
     die vertrackte Angelegenheit erklären zu können, braucht es eine ästhetische Analyse. Zunächst: Es sind vor allem stilbewusste
     junge Angehörige der »neuen Mittelschichten«, die ein Produkt von der einen Seite dieser Schwelle, von der Müll-Seite, auf
     die andere Seite, die des Dauerhaft-Wertvollen, bringen, und nicht selten dienen diesen die Rebellen und aufbegehrenden Jungen
     als Trendscouts. Erst hängt der Punk sich den Trash ans Revers der Lederjacke, dann stellt der Yuppie ihn sich ins Regal.
     Es ist ein kumulativer Prozess individueller ästhetischer Urteile, der zuerst von Exzentrikern und Außenseitern begonnen wird,
     der irgendwann einen mirakulösen kritischen Punkt überschreitet und soviel Gewicht gewinnt, »dass ein Markt entsteht« 120 .
    Der britische Soziologe Michael Thompson verdeutlicht dies am Beispiel eines viktorianischen gusseisernen Kamins mit Marmoreinfassung,
     den er – er verdiente sich als Student sein Geld als Bauarbeiter – in den Salon eines Regency-Hauses einbauen sollte, »das
     dem leitenden Angestellten einer großen Gesellschaft gehörte. Der Kamin und die Marmoreinfassung stammten in Wirklichkeit
     aus meinem eigenen Haus (aus dem sie entfernt worden waren, um Platz für eine Küche zu schaffen), aber wir erdachten uns eine
     kunstvolle und überzeugende Geschichte, der zufolge wir beides aus einem Regency-Haus, das sich im Umbau befand, kaufen müssten,
     und deshalb müssten wir einen solchen Wucherpreis – so glaubten wir damals – dafür berechnen. Nachdem wir den

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