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Alles Ware - Glanz und Elend der Kommerzkultur

Titel: Alles Ware - Glanz und Elend der Kommerzkultur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Misik
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Verteidigungsministers und
     späteren Bundeskanzlers Helmut Schmidt nachlesen kann. Darin beklagt Schmidt – man bedenke, das Schwarz-Weiß-Fernsehen hatte
     sich gerade erst allgemein durchgesetzt, langsam kamen die ersten Farb-TV-Geräte auf den Markt –, dass Politiker heute nicht
     bloß gegeneinander konkurrieren wie Produkte in der Marktkonkurrenz. Schlimmer noch: Es ginge nur mehr um den »Eindruck«,
     um das »Ankommen«. Konkurrenz sei zur »Eindruckskonkur renz « verkommen, so die Klage Schmidts und: »Selbst jemand, der erfolgreich ist, wird nicht gewählt werden, wenn er am Fernsehbildschirm
     nicht genügend ausstrahlt.« 115 Politiker, so deutete Haug Schmidts Lamento richtig, müssten heute also in erster Linie »Markentech niker « sein. 116
    Womöglich ist all das, was der durchschnittlich dunkelgrau gestimmte Zeitgenosse an der gegenwärtigen Politik zu kritisieren
     hat, ein Ausdruck der Durchdringung von Politik und Konsumismus. Das jedenfalls legt Richard Sennett in seinem Buch »Die Kultur
     des neuen Kapitalismus« nahe. Seine Thesen: Das Publikum konsumiere die Politik auf seltsam passive Weise; wie bei normalen
     Waren gleiche sich der »Gebrauchswert« – also die politische Programmatik – weitgehend an, weshalb versucht wird, mit immer
     mehr Kulturalisierung und Marketing den »Reiz des Unterschieds« 117 hervorzurufen (was sogenannten Spin-Doktoren ein gutes Einkommen garantiert). |115| Schon lange, so Sennett, haben die Politik-Konsumenten es aufgegeben, tatsächlich nach der sachlichen Qualität der angebotenen
     Politik zu fragen – die liegt im Dunkeln wie das Innenleben des Computers, des Toasters oder des MP-3-Players, der erstanden
     wird; was das Publikum beurteilt, sind die Fertigkeiten, mit denen die Politiker versuchen »anzukommen«; weil das Publikum
     Wahrhaftigkeit bei dieser Art von Marketing vernünftigerweise nicht erwartet, ist wahr oder falsch überhaupt kein Kriterium,
     das bei dieser Entscheidung eine Rolle spielt. »Werden politische Führer heute auf dieselbe Weise ›verkauft‹ wie Seife, als
     unmittelbar erkennbare Marken, die der Verbraucher aus dem Regal nimmt?«, fragt Sennett. 118
    »Lebensstile sind auch in der Politik bedeutend geworden, nicht nur im Markenartikelbereich«, sagt die Wiener Meinungsforscherin
     Sophie Karmasin. Während früher ökonomische Interessen, Klassen- oder Schichtzugehörigkeit oder einfach Tradition Schlüssel-Faktoren
     für das politische Verhalten der Staatsbürger waren, so ist heute für wachsende Segmente der Wählerschaft entscheidend, ob
     eine Partei ihre moralischen und Lebensstil-Präferenzen zu repräsentieren vermag.
    Gewiss, der konsumierende Bürger macht sehr wohl einen Unterschied, ist sich darüber im Klaren, dass der Griff zum Softdrink
     an der Supermarktkasse das eine ist, die Wahl einer Partei bei einer Bundestags- oder Nationalratswahl das andere. Aber doch
     prägt das eine seinen Habitus und färbt damit das andere ein. Wenn der Bürger-Konsument das TV-Gerät einschaltet, will er
     etwas erleben. Wird ihm das vorenthalten, ist er wählerisch. Schnell stimmt er dann ab – mit der Fernbedienung in der Hand.
     Selbst harte politische Auseinandersetzungen, für die sich angesichts der häufigen programmatischen Ununterscheidbarkeit |116| der Akteure oft gar nicht so leicht ein Thema findet, folgen dieser Logik: Das Publikum bleibt nur aufmerksam, wenn’s ordentlich
     kracht, und so kommt, was eine ordentliche Talkshow sein will, ohne Schreiduell oder giftige Polemik nicht aus. Dies erklärt
     auch den seltsamen Sachverhalt, den man in manchen Ländern, etwa in den USA, in Österreich oder in Italien beobachten kann:
     die Polarisierung bei gleichzeitiger Abwesenheit nennenswerter politischer Programmkonflikte. Und wenn ein Politiker, der
     alle modernen Verkaufsstrategien penibel verfolgt, dennoch nicht gewählt wird, dann kann ihm nur mehr ein Relaunch helfen.
     Das, was man im Marketing die ›behut same Modernisierung der Marke‹ nennt: neue Käuferschichten erschließen, ohne die alten Käufer zu verprellen.
    Um’s Staatsganze bemüht, umgarnt der Politiker den Bürger wie der Verkäufer den Kunden, muss er ihn betören, des Glanzes der
     Ware versichern, die er im Angebot hat – im Grunde ist er selbst im optimalen Fall diese glänzende Ware (und im suboptimalen
     Fall ein Ladenhüter). Unschlagbar ist, fürs Erste jedenfalls, der Politiker, der selbst eine Celebrity ist, an dessen

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