Alles Ware - Glanz und Elend der Kommerzkultur
halten. Matthias Matussek, der Kulturressortleiter des
Spiegel
, überschlug sich förmlich vor Freude über »das schöne und begeisterungsfähige Deutschland«, und Kommentatoren des Boulevardblattes
Bild
gestanden ergriffen: »Ich würde die Fahne auch nach der WM gern am Auto dranlassen. Für immer. Für ein ewig tolles Gefühl.«
Was bei den Einen Glückshormone freisetzte, provozierte bei den Anderen wiederum Panik. Linke Antifaschisten sahen in den
Fanhorden Begeisterungs-Sturm-Staffeln, einen chauvinistischen Mob, der sich die Deutschlandflagge ins Gesicht malte. Im vollen
Ernst wurde in diesen Kreisen befürchtet, die Deutschlandbegeisterung werde von den Mächtigen und vom Kapital geschürt, um
in Zeiten neuer Armut gegen alles Nichtdeutsche hetzen zu können und so vom Hartz-IV-Elend abzulenken – so nach dem Motto
»weniger Brot, dafür aber jede Menge Spiele«.
Der neue »Patriotismus« wurde also nur vor der Folie des alten beurteilt – und je nach Standpunkt gefeiert oder verteufelt.
Nur gelegentlich blitzte auf, dass das doch eine recht fragwürdige Basisannahme ist – etwa in der Titelzeile des
Spiegel
, die vom »Party-Patriotismus« sprach, oder in einem Kommentar der
Frankfurter Rundschau
, in dem davon die Rede war, dass der neue Fußballpatriotismus Pop sei, »Teil eines wogenden Zeichenmeeres, in dem nach Belieben
kombiniert werden kann, er entspringt einem Patchwork der Identifikationen, frei wie die Mode«.
Was die Fans charakterisierte, ist schließlich die Entschlossenheit, Spaß zu haben. Das Gemeinschaftsgefühl derer, die für
»ihre« Nationalmannschaft sind, unterscheidet |108| sich aber gar nicht so sehr vom Gemeinschaftsgefühl, sagen wir, bei einem Open-Air-Konzert. Beim Partypatriotismus als leichtes
Gemeinschafts-Erlebnis liegt das Hauptgewicht auf dem Erlebnis. Aber dann ist auch der Patriotismus nichts anderes als ein
Erlebnis, das konsumiert werden kann. Dieser Patriotismus, wenn man ihn denn partout noch so nennen will, ist auch nur ein
Angebot im Portefeuille der Event-Kultur, ein Angebot der Erlebnis-Industrie, deren Geschäft es nun einmal ist, gute Gefühle
zu verkaufen. Eigentlich sollte das jene, die engstirnigem Patriotismus gegenüber skeptisch sind, sogar freuen – bei manchen
Gefühlen ist es ja gewiss nicht so schlecht, wenn sie kommerziell entleert werden, und der Patriotismus ist bestimmt so ein
Gefühl, für das das gilt. Wenn der Konsumkapitalismus »Deutschland« also zu einem Bild umformt, zu einem »Image«, das konsumiert
werden kann und irgendwo »da draußen«, in den virtuellen Welten des Kulturkapitalismus mit anderen Zeichen konkurriert, dann
macht das deutschem Dumpfnationalismus womöglich endgültig den Garaus.
Aber das fällt bei all dem historischen Schattenboxen gar nicht auf. Dass sich etwas grundlegend verändert hat, wird gar nicht
wahrgenommen. Die Verwandlung eines Nationssignifikanten in ein Logo, das mit einem möglichst guten Gefühl verbunden wird,
erlebbar und leicht konsumierbar ist, verweist darauf, dass Nationen Marken nicht unähnlich sind. Erfolgreich sind Nationen,
die jeder kennt, und unter diesen jene, die viele Leute mit positiven Charakteristika verbinden. Kurzum: Schon 1999 hat Wally
Olins, der britische Marketingpapst, die Anverwandlung von Staaten und Konzernen analysiert 107 – und begonnen, Länder statt Firmen zu beraten. Besonders angewiesen auf seinen Rat sind natürlich »Problemmarken« – Länder
wie Rumänien, Serbien oder Kirgisien, Länder also, von denen |109| praktisch alle Menschen eine signifikant schlechte Meinung haben, außer jenen natürlich, die nicht wissen, dass es diese Länder
überhaupt gibt. Aber auch der »Deutsch land-Brand «, sagte Olins schon vor Jahren, sei für einen Relaunch »sehr interessant«. Denn abgesehen vom Image-Malus der NS-Vergangenheit
gelte Deutschland vor allem als fad. Deutsche Kreativität, so der Spezialist für Nationen-Branding, sei mit Ingenieurs-Kreativität
verbunden. Deutschland »wird mit Autos assoziiert: Effizienz, sehr hohe Qualität, schlechtes Marketing, sehr teuer. Keinerlei
emotionale Inhalte. Das bedeutet, Hugo Boss und Jil Sander wurden nicht wahrgenommen …« 108 Er würde, so Olins, das Verspielte und Künstlerische unter den deutschen Stärken deutlicher herausstellen. Olins hat im Grunde
schon vor Jahren zu dem geraten, was die WM-Organisatoren penibel umgesetzt haben – Deutschland solle sich
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