Alles Ware - Glanz und Elend der Kommerzkultur
Kamin schnell
und sauber installiert hatten, zogen wir uns mit unseren 30 Pfund in den Pub zurück« – hocherfreut, weil |123| es gelungen schien, den Kunden auszubeuten. »Ein paar Wochen später, wir hatten noch ein paar andere Arbeiten im selben Haus
zu erledigen, zeigte der Besitzer den Salon stolz einem Freund, der ausrief: ›Oh, wie herrlich. Was immer du hier noch ändern
lässt, den wunderbaren Kamin
musst
du behalten.‹ In dem Augenblick erkannten wir, dass wir die Ausgebeuteten waren. Die Tatsache, dass wir wussten, dass der
Kamin gerade erst installiert worden war und aus einer ganz anderen Periode stammte, war irrelevant, denn allein ausschlaggebend
ist, dass diejenigen, die die größte Macht über Zeit und Raum ausüben, ihn für original halten. Der Wert des Hauses war bereits
um sehr viel mehr als um 30 Pfund gestiegen.« 121
Was die schäbigen Dinge, die gerade noch für den Restmüll geeignet schienen, plötzlich zu gefragten Raritäten macht, ist,
wie wir alle wissen, die ihnen zugeschriebene Authentizität. Dasselbe gilt für gehobene Handwerksartikel oder für Naturerlebnisse.
Was die Phänomene, um die es hier geht, verbindet, ist also der Umstand, dass es ein ganzes Segment an Waren und Erlebnisangeboten
gibt, die mit ihrer (behaupteten) Authentizität punkten. Aber Authentizität ist, wie wir ebenso wissen, ein scheues Gut. Wenn
man ein authentisches Gut kaufen kann, ist es schon ein Stück weit weniger authentisch, und wenn es von vielen Leuten gekauft
werden kann, dann ist es ein großes Stück weniger authentisch. Dass für »authentische Produkte« ein Markt entsteht, ist deswegen
immer auch eine unauflösbare Paradoxie, die den Raritäten wie ein Makel anhängt. Schließlich verdanken sie ihren Status der
»Tendenz, mit der Besonderheit, Nichtmarktlichkeit oder Nichtaustauschbarkeit von Produkten geradezu zu werben«, wie das die
Frankfurter Philosophin Rahel Jaeggi nennt – sie spielen mit der Sehnsucht »nach dem Eigenwert der Sache selbst, nach Materialgerechtigkeit«.
Das ist, |124| legt Jaeggi nahe, »eine residuale Sehnsucht nach dem Nichtkommerziellen, die es in verschiedenen Formen auch in einem vermarktlichten
Konsumsystem vielleicht immer geben wird« – und die heute »mit der Ent-Standardisierung zunimmt« 122 . Implizit wird damit ausgedrückt, dass Güter ohne Warencharakter irgendwie »wert voller « seien als Handelswaren, »Schätze« gewissermaßen, obgleich außerhalb der Kapitalsphäre. Die, wenn man es recht überlegt,
kuriose Folge davon ist aber eben kein Dementi der Nichtkommerzialität, sondern die »Ver wandlung des Authentischen in ein Marktprodukt«, wie das Luc Boltanski und Ève Chiapello nennen, die »Öko nomisierung des Authentischen« – weil die ein erhebliches »Profitpotential« in sich birgt. 123 Kurzum: Die Rarität wird zum Kommerzgut, wenn sie von einer Aura der Nichtkommerzialität umgeben ist, die Sehnsucht nach
dem Nichtkommerziellen wird kommerzialisiert.
Kurzschlüsse sind da programmiert: Denn, wie Boltanski und Chiapello schreiben, um »überhaupt als ›un verfälscht ‹ bezeichnet werden zu können, müssen diese Produkte außerhalb der Warenwelt … in ›Authentizi tätsreserven ‹ gewonnen werden«. 124 Jedoch müssen wenigstens manche der Güter, die auf dem Authentizitätsmarkt zirkulieren, reproduziert werden, damit ihre Vermarktung
sichergestellt ist, sie müssen, wenn schon nicht massenhaft, so doch in ausreichender Menge zur Verfügung stehen, damit die
stetig wachsende Nachfrage nach Authentizität gestillt werden kann. Darum aber »enttäuschen sie, wenn sie erst einmal auf
dem Markt sind, zwangsläufig zumindest einen Teil der in sie gesetzten Erwartungen«. 125 Eine weitere Aporie ist, dass sich die Konsumenten des Authentizitätsmarktes auch gerne als menschenfreundliche Leute sehen,
die für Schonung der Natur und mehr Gleichheit unter den Menschen eintreten |125| sowie vor nichts mehr Abscheu haben als vor Luxuskonsum. In der Praxis ist es freilich so, dass die begehrten Authentizitätswaren
»umso verknappter und teurer sind, je individueller sie sind« (Rainer Forst). Das abgegriffene Stück, dem man seine Geschichte
ansieht, der heruntergekommene Laden mit dem besonderen Flair, die Kneipe, die auf unergründliche Weise »echt« ist, sie alle
sind deshalb auch nur »Positionsgüter« – Waren, mittels derer man seine Distinktionsbedürfnisse gegenüber Anderen
Weitere Kostenlose Bücher