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Alles Ware - Glanz und Elend der Kommerzkultur

Titel: Alles Ware - Glanz und Elend der Kommerzkultur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Misik
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     –, nichts grundsätzlich anderes als ein fetter Mercedes der S-Klasse. In dem Moment, in dem alle sie haben, haben sie ihren
     Reiz – oder, um das in der Marketingsprache zu sagen: ihre unique selling proposition – schon wieder verloren.
     
    Nirgendwo wird dies augenfälliger als beim Individualtourismus. Kaum ist ein authentisches Reiseziel gefunden, wird es von
     Authentizitätsfreunden aus aller Welt angesteuert – und schon ist die Authentizität perdu, »die gerade darin bestand, dass
     diese Ziele nur wenige Touristen anlocken« 126 . Aber damit geht für den Individualtouristen natürlich nicht nur die Echtheit des Landstrichs oder die Einsamkeit der Bucht
     verloren, sondern auch der Distinktionsgewinn, den er erzielt, wenn er an einem Ort ist, an dem sonst keiner ist. Der »leere
     Strand« ist schließlich das Positionsgut schlechthin – im Grunde ein Statussymbol, das seine Wirkung sofort verliert, sobald
     es mit Anderen geteilt werden muss. Der Authentizitätskonsum ist darum, streng besehen, mit dem Wert der Gleichheit nur schwer
     unter einen Hut zu bringen. Das Resultat von all dem sind ein paradoxer Herdentrieb ins Unberührte, der ironisch auch als
     »kollektiver Individualtourismus« 127 bezeichnet werden kann, sowie die Kapitalisierung des Authentischen gerade in den Segmenten des Luxuskonsums.
    |126| Kaum jemand hat diese »Mode Rétro« auf penetrantere Weise zu verwerten vermocht als die im nordrhein-westfälischen Waltrop
     ansässige Versandhausfirma Manufactum. Unter dem Slogan »Es gibt sie noch, die guten Dinge« preist das Unternehmen Qualitätsprodukte
     von anno dazumal an. Der Manufactum-Katalog, ein Dokument von handwerklichem Stolz, träumerischer Nostalgie und einem ordentlichen
     Schuss schnöseliger Verachtung des Modernen, ist gewissermaßen die Bibel des Authentizitätskonsumenten. Heute sei nicht das
     Bessere der Feind des Guten, sondern »das Schlechtere, Billigere, Banale«, heißt es in der Unternehmensphilosophie. »Es gibt
     kaum ein Qualitätsprodukt, das nicht durch jämmerlich schlechte, aber viel billigere Konkurrenten und Nachahmungen gefährdet
     wäre.« Die schlechte Qualität und kurze Lebensdauer hindere uns Menschen aber daran, eine »freundschaftliche Beziehung« zu
     den Dingen zu entwickeln. Deshalb habe Manufactum sie wieder aufgetrieben, die guten Dinge, und rette sie, indem das Unternehmen
     mit den Betrieben, die sie herstellen, Geschäftsbeziehungen knüpft. Die Echtheit hat zwar ihren Preis; aber man kann seinen
     Kaffee dann mit einer Kaffeemühle mit Schwungrad (248 €) brühfertig machen, seine Pfannkuchen in handgeschmiedeten Eisenpfannen
     (115 €) braten und sein Kartoffelpüree mit nostalgischen Kartoffelstampfern (36 €) zubereiten. »Eine Protestschrift gegen
     die Verschundung der Welt« nennt
Die Zeit
den Manufactum-Katalog, wohingegen das Schweizer Kulturmagazin
du
in der Firma ein »preislich wie ideologisch völlig überkandideltes Nostalgie-Versandhaus« sieht. Ostentativ pflegt das Unternehmen
     eine »Konzentration auf den ›Gebrauchswert‹«, wie Frank Müller in einem Essay für die Wiener Literaturzeitschrift
Wespennest
128 schreibt – was man als Absage an Glitzer- und Markenaura neumodischer |127| Waren deuten könnte. Freilich dreht Manufactum die Aura der Dinge in Wirklichkeit noch einmal einen Schwung weiter ins Abstruse:
     Das Ding, das gute Ding, wird zum Überlebenden einer versunkenen Epoche stilisiert, zum Geretteten, der uns wiederum Trost
     bringt in unserer Not. Weit davon entfernt, auf seinen Gebrauchswert reduziert zu sein, wird die Dingaura buchstäblich ins
     »Überlebens-Große« gesteigert – es ist die Aura von Dingen, die überlebt haben und die dauerhafter sind als die sterblichen
     Menschen selbst. Seit jeher macht den Zauber des Kunstwerkes aus, aber auch den der patinierten Kommode, die sich schon lange
     in Familienbesitz befindet, dass im Betrachter das Gefühl hochsteigt, an diesem Ding ist »etwas, das größer ist als ich«,
     das »mich überdauert«. Wenn dieses Gefühl heute nicht nur Picasso-Gemälde, das geschichtssatte Erbstück oder archäologische
     Skulpturen aus dem Jungpaläolitikum, sondern auch Kaffeemühlen, Eisenpfannen und Kartoffelstampfer auslösen können, ist dies
     gerade nicht Ausdruck der Emanzipation der Menschen von der Ding- und Warenwelt. Im Gegenteil: Es ist der totale Triumph der
     Dingwelt.
     
    Die Ästhetik der Nostalgie, die Ökonomisierung

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