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Alles Ware - Glanz und Elend der Kommerzkultur

Titel: Alles Ware - Glanz und Elend der Kommerzkultur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Misik
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des Authentischen, die Vermarktung des Schäbigen, sie sind Standards geworden
     im postmodernen Kapitalismus. Die Dinge, weit davon entfernt, natürliche, »übriggebliebene Reste einer vergangenen und symbolischen
     Ordnung« zu sein, sind, wie Jean Baudrillard schon vor vierzig Jahren hellsichtig feststellte, »echte Bestandteile unserer
     Modernität und bekommen deshalb etwas Doppelsinniges« 129 . Die Werbung evoziert eine verlorene Welt der Natur und der Echtheit. Insbesondere der Begriff der »Natur«, der dem entfremdeten
     Leben der kommerzialisierten Stadt entgegengestellt wird, ist hierfür paradigmatisch – gerade |128| wenn die Sehnsucht nach Natürlichkeit kommerziell genützt wird. »Das nostalgische Bild der Natur«, schreibt Eva Illouz, »wird
     von der Werbebranche dazu verwendet, eine Vision des Konsums zu propagieren, die in euphemistischer Weise gerade das Wesen
     der Welt leugnet, das Konsum überhaupt möglich macht. Über die Werbung wurde dieses Ideal der Natur ausgerechnet durch die
     unternehmerische Strategie heilig gesprochen, die es tatsächlich zerstört hat.« Der Konsum individualtouristischer Angebote
     oder der Kauf der guten Güter aus früherer Zeit basiert auf der impliziten Behauptung, der Konsum könne ein Mittel darstellen,
     »um wieder Zugang zu verlorenen Schätzen, einem authentischen Ich, echten Beziehungen … zu erlangen« 130 . Die zirkelschlüssige Botschaft lautet: Das, was durch den entfesselten Konsumismus zerstört wurde, ist nicht vollends verloren
     – zu ihm kann es durch Konsum einen neuen Zugang geben.
    Anders gesagt: Wenn man alles kaufen kann, haben nur besondere Dinge einen besonderen Wert. Und die kann man auch kaufen.
    Die Sehnsucht nach der Natur ist keineswegs »natür lich «, sondern eine moderne Konstruktion – meist eine von Stadtmenschen noch dazu. Ja, oft ist das, was man »ländliche Idylle«
     nennt, von Städtern gemacht. Die Bauernhäuser, die noch »echt«, »so wie früher« aussehen, sind meist von Städtern liebevoll
     restaurierte Schmuckkästchen, während sich die wirklichen Bauern moderne Betonklötze hinstellen, welche sie bunt anmalen und
     abends verlassen, um sich mit Nordic-Walking-Sticks auf Trimm-Marsch zu begeben, indes die städtischen Zweitwohnsitz-Besitzer
     im Gemüsegarten noch Unkraut zupfen. Was er dabei zu tun hat, erfährt der naturverbundene Städter in Büchern wie John Seymours
     »Das neue Buch vom Leben auf dem Lande«, in dem es viele praktische Tipps und |129| Anleitungen für alte Handgriffe gibt. In dem »Handbuch für Realisten und Träumer«, das auch ästhetisch mit den handgemalten
     Bildern statt Fotos einen antiquarischen Eindruck erwecken will, erfährt der Neo-Landmann alles, was die landwirtschaftlichen
     Selbstversorger des frühen neunzehnten Jahrhunderts wussten – er erhält Einblick in die Geheimnisse der Fruchtfolge, lernt,
     wie man ein Podest baut, auf dem man die Ziege zum Melken platzieren kann, wie man Schweine schlachtet, was man bei der Geburtshilfe
     bei Schafen beachten muss, wie man Korn mahlt, Rapsöl presst, Wein keltert, einen Komposthaufen anlegt, aber auch, etwas zeitgemäßer,
     wie man Sonnenkollektoren am Dach anbringt und eine Kettensäge schärft. Originell auch die Tipps zum Einbau einer Kompost-Toilette
     im Haus (zur nützlichen Verwertung menschlicher Exkremente), zum Weben, Färben und zur Produktion von Tonziegeln. Und neben
     diesen etwas ausgefallenen Ratschlägen findet sich natürlich alles, was der Wochenendhobbygärtner über Karotten-, Radieschen-,
     Spinat- und Tomatenanbau wissen muss. Solche Bücher sind übrigens verdammt teuer, für die Zeitreise zweihundert Jahre zurück
     müssen 29,90 € hingelegt werden. Aber wir wissen ja schon: Auch die Flucht aus der kalten Kommerzwelt der städtischen Agglomerationen
     ist keineswegs zum Nulltarif zu haben, und, wie Pierre Bourdieu bereits vor dreißig Jahren entdeckte, man kommt schließlich
     nicht ohne sie aus, die »unabdingbaren Gadgets, ohne die es einfach kein zünftiges, ›natürliches‹ ›Zurück-zur-Natur‹ gibt« 131 . Im blätternden Kalkputz der Bauernhäuser erhoffen wir das Andere des heutigen Kapitalismus zu erblicken, eine Hoffnung,
     in der dieser Kapitalismus wiederum nichts anderes als einen Markt sieht. Die Konsumenten der umweltfreundlich gezogenen Bioprodukte,
     der mondscheingeschlägerten Fichtenholzböden, sie sind fest davon |130| überzeugt, besonders kapitalismuskritisch zu

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