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Alles Ware - Glanz und Elend der Kommerzkultur

Titel: Alles Ware - Glanz und Elend der Kommerzkultur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Misik
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sein. Und merken oft nicht einmal, dass sie nur ein besonders aktives Konsumentensegment
     einer prosperierenden Zukunftsbranche sind.
    Die Natur, das Schäbige, der Abfall, das gediegene handwerkliche Gebrauchsgut, dem man die Warenförmigkeit nicht ansieht –
     sie alle scheinen das Andere des Kapitalismus zu sein, sind es aber mitnichten. Der Anschein ist es wiederum, der die Nachfrage
     nach ihnen in unermessliche Höhen treibt. Kurios und paradox formuliert: Der Anschein der Nichtwarenförmigkeit begründet ihren
     Erfolg als Waren. »Der präkapitalistische bäuerliche Landstrich und die dörfliche Gemeinschaft, sie sind heute das Image,
     das Erscheinungsbild von Natur in unserer eigenen Zeit«, schreibt Fredric Jameson. Diese Art von Natur ist nichts »Echtes
     von früher«, sondern ist von uns selbst gemacht.
     
    Der alte Witz ist wahr geworden: »Die Nostalgie ist auch nicht mehr das, was sie einmal war.«

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    |131| 7. »Gute Geschäfte«
    »Buycott« oder: Warum im Kulturkapitalismus ethisches Wirtschaften keine Frage von Gut und Böse, sondern ein Investment in
     Meinungsmärkte ist.
    Es war ein sonniger Frühjahrstag, da schlenderte ich über den Wiener Karlsplatz und hatte ein eher unangenehmes Gefühl, denn
     ich ging auf den Schwarzenbergplatz zu, wo ich im Hauptquartier der österreichischen Industriellenvereinigung einen Wirtschaftsethiker
     interviewen sollte. Dass mir diese Aussicht nicht gerade Glücksgefühle bescherte, versteht sich von selbst. Schließlich ist
     für jemanden wie mich, der mit Großkapital ziemlich automatisch Begriffe wie Profitgier, Steuerdumping und Lohndrückerei assoziiert,
     der mächtige Gebäudekomplex der Industriellenvereinigung seit jeher eine Art Trutzburg des Klassenfeindes – Kommandozentrale
     derer, die den kleinen Leuten das Geld aus der Tasche ziehen und ihre Milliarden sicher auf Nummernkonten in Liechtenstein
     oder auf den Kanalinseln bunkern. Und auch von Wirtschaftsethikern, ich muss es gestehen, hatte ich keine allzu hohe Meinung:
     Das waren für mich Leute, die glauben, den Kapitalismus mache man besser, indem man den Kapitalisten ins Gewissen rede, dass
     sie gute Menschen sein sollten, wohingegen ich doch weiß, dass der Kapitalismus ein System ist, das vielerlei Anreize schafft,
     sich eben nicht altruistisch und menschenfreundlich, sondern egoistisch und fies zu verhalten. Kurzum: Ich erwartete ein uninteressantes
     Gespräch mit einem uninteressanten Menschen in reichlich unangenehmer Umgebung.
    |132| Als ich dem Wirtschaftsethiker, einem Schweizer Chemiemanager namens Klaus M. Leisinger vom Pharmariesen Novartis, vorgestellt
     wurde, wurden meine Vorurteile nicht eben zerstreut. Es sei ihm eine Ehre, von mir interviewt zu werden, sagte er, er habe
     gehört, ich sei einer der kritischsten Journalisten meines Landes. So sind sie, sagte ich zu mir, die Großkapitalisten, verschlagen
     und berechnend, machen einem sinnlose Komplimente und glauben, unsereins würde das nicht durchschauen – dass sie einen betören
     wollen, damit sie dafür im Umkehrschluss eine freundliche Story bekommen. Aber nein, mit mir nicht, sagte ich mir. Mich kaufst
     du nicht, Junge! Den Typen führ ich vor, schwor ich mir. Schon mit der ersten Frage wollte ich ihn aufs Glatteis führen. Ich
     hatte mich gut vorbereitet, noch einmal in Brechts Parabel »Der gute Mensch von Sezuan« nachgelesen, die davon handelt, dass
     es im Kapitalismus unmöglich ist, gut zu handeln, weil diejenigen, die schlecht handeln, zu Reichtum und Macht kommen, und
     diejenigen, die gut handeln, auf der Strecke bleiben.
    »Herr Leisinger«, fragte ich, »kennen Sie von Bertolt Brecht ›Der gute Mensch von Sezuan‹?« Ich war natürlich sicher, dass
     er davon noch keine Zeile gelesen hatte.
    »Klar«, antwortete der Manager, »vor allem die beiden letzten Zeilen.«
    Verdammt – plötzlich hatte nicht ich ihn an der Angel, er hatte mich. »Wie lauten die schnell noch mal?«, stammelte ich.
    Leisinger: »Verehrtes Publikum, los, such dir selbst den Schluß / Es muß ein guter da sein, muß, muß, muß.«
    Ich war erstaunt: Der Mann kannte Brecht tatsächlich auswendig, und das, obwohl er sich im Gegensatz zu mir nicht darauf vorbereiten
     konnte. Auch sonst überraschte mich mein Interviewpartner sehr. Nachdem er jahrelang als Pharmamanager gearbeitet hatte, war
     er Präsident und |133| CEO der Novartis-Stiftung geworden, die das Unternehmen eingerichtet hat, um Gutes in der Welt

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