Alles Ware - Glanz und Elend der Kommerzkultur
Deutschland
und hatte lukrative Geschäfte mit dem Deutschen Fußball-Verband und der FIFA geschlossen. Die Balljungen bei der WM hießen
»Coca-Cola-Ballcrew«, und die Flaggenträger, die den nationalen Mannschaften voranschritten, waren »Coca- Cola-Flaggenträger «. Coca-Cola wusste früher, wer in den deutschen WM-Kader berufen werden würde, als die betroffenen Spieler selbst – schließlich
brauchte die Getränkefirma ausreichend Zeit, um Cola-Dosen mit dem Konterfei aller deutschen WM-Fußballer zu produzieren.
Die Sportverbände hatten jede Scheu vor der Kommerzialisierung verloren. Irgendwie war Coca-Cola am Höhepunkt seiner Markenmacht.
Aber trotz allem war die Laune der Konzernstrategen am Tiefpunkt.
Schließlich hatten Anti-Coca-Cola-Aktivisten, die die Praktiken des Multis in der Dritten Welt anprangern, ihnen schon den
Spaß bei den Olympischen Winterspielen in Turin verdorben. Auch hier war Coca-Cola als Hauptsponsor aufgetreten, hatte sein
Markenimage mit der olympischen Flamme zu verbinden versucht – und sich |136| dabei gehörig die Finger verbrannt. Während der Reise des olympischen Feuers durch Italien wurden die Fackelträger bei jedem
Etappenziel öffentlichkeitswirksam attackiert. »Es ist zutiefst unmoralisch, die olympische Flamme und die Werte, die sie
verkörpert, mit der Coca-Cola-Company zu verbinden«, hieß es in dem Aufruf zu den Störaktionen. Doch die Aktionen blieben
nicht auf den kleinen Kreis notorischer No-Logo-Engagierter beschränkt. Mehrere italienische Bezirke hatten sich dem Coca-Cola-Boykott
angeschlossen. Der Turiner Stadtrat hatte beschlossen, den Ausschank von Coca-Cola-Produkten in öffentlichen Gebäuden zu verbieten.
Zwei römische Bezirke hatten sogar dekretiert, dass die Fackelträger mit dem olympischen Feuer ihr Territorium nicht betreten
dürfen.
Noch schlimmer hat es die Marke, die den amerikanischen Traum repräsentieren soll, in den USA selbst erwischt. Seit Jahren
machen Aktivistengruppen an den Universitäten gegen den Multi mobil. Anfang 2006 verbot die Universität von Michigan den Verkauf
von Coca-Cola-Produkten auf dem gesamten Campus. Als die 54 000 Studenten aus dem Weihnachtsurlaub zurückkehrten, fanden sie die Automaten leer vor. Die Michigan-Uni ist nur eine von
zwanzig Universitäten in den USA und Kanada, die sich für ein solch drastisches Vorgehen entschieden haben. Auch die New York
University – die größte Privatuniversität der USA – hat die Millionenverträge mit dem Multi erstmals eingefroren.
»Killer Coke« nennen die Aktivisten die braune Brause und, den global bekannten Werbespruch persiflierend: »Murder – it’s
the real thing«. Was sie anprangern, sind die ruppigen Wirtschaftspraktiken des Konzerns, vor allem in Indien und in Kolumbien.
In Indien sollen Tiefenbohrungen der Abfüllfabriken für das Abfallen des Grundwasserspiegels |137| verantwortlich sein, was die Lebensgrundlagen der örtlichen Bauern buchstäblich abgräbt. Schwerer wiegen aber die Vorwürfe,
der Konzern sei in mörderische Praktiken gegen Gewerkschafter in Kolumbien involviert. Fest steht jedenfalls, dass in der
Provinz Urabá nördlich von Medellin, wo das Gesetz der Gewalt herrscht, nicht nur die Militärs mit bewaffneten Banden – sogenannten
»Todesschwadronen« – zusammenarbeiten, sondern auch die ansässigen Filialen internationaler Unternehmen. Dazu gehört auch
das Abfüllwerk in dem Städtchen Carepa, in dem die Firma Panamco Getränke für Coca-Cola produziert. Eine fast übliche Praxis
ist seit Jahren, störrischen Arbeitern, vor allem aber Gewerkschaftsaktivisten, die sich bei Lohnverhandlungen hervortun,
Todesschwadronen auf den Hals zu hetzen. So wurde der Anführer der Gewerkschaft Sinaltrainal, Isidro Segundo Gil, 1996 auf
dem Werksgelände des Coca-Cola-Lizenznehmers von der Bande des regionalen Todesschwadronen-Chefs Calíche am hellichten Tage
ermordet. Daraufhin brannten sie auch noch das Büro der Gewerkschaft nieder. Kurz darauf marschierten Calíches Männer am Werksgelände
auf, die Belegschaft wurde zusammengetrommelt, und den Arbeitern wurden vorgefertigte Austrittserklärungen unter |138| die Nase gehalten, mit denen sie ihre Mitgliedschaft in der Gewerkschaft kündigen sollten. Die Personaldaten hatten die Paramilitärs
offenbar aus dem Firmencomputer. In den folgenden Jahren sind sieben weitere Gewerkschaftsaktivisten von Coca-Cola-Werken
ermordet
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