Alles Ware - Glanz und Elend der Kommerzkultur
zu tun. Seit 2005 amtierte
er zudem als Sonderberater von UN-Generalsekretär Kofi Annan für den »Global Compact«, das Programm zur Förderung ökonomischer
Fairness und der Menschenrechte im Wirtschaftsbereich, das die Weltorganisation auflegte. Als ich endlich mein geplantes Brechtzitat
angebracht hatte (dass im Kapitalismus gute Vorsätze die Menschen »an den Rand des Abgrunds« brächten und gute Taten sie vollends
hinabstürzten), hob Leisinger an: »Es kann doch nicht so sein, dass sich wirtschaftliches Handeln nur rentiert, wenn es auf
unmoralische Art stattfindet. Außerdem: Wir wissen doch alle, dass das nicht stimmt.« Er jedenfalls sage den Unternehmern,
erzählte der Manager, nicht einfach, dass sie gut sein sollen, weil sich das gehört – er sage ihnen, dass sich unmoralisches
Handeln nicht rechnet. Ja, sie sollten auch Dinge bleiben lassen, die sie legal tun könnten, die aber in weiten Teilen der
Welt als illegitim gelten. »Warum? Weil ich meine legalen Risiken, meine finanziellen Risiken und meine Reputationsrisiken
minimiere, wenn ich mich verantwortlich verhalte.« Unternehmen, die etwa Kinderarbeit praktizieren, die von Zwangsarbeit profitieren
oder die Umwelt zerstören – und sei es weit unten in Afrika oder im undemokratischen China – riskieren nicht nur, ihr Markenimage
zu ramponieren, weil die Konsumenten darauf achten, »ob ein Unternehmen Standards einhält«, sie werden auch Schwierigkeiten
bekommen, qualifizierte Spezialisten zu engagieren – denn die wollen auch »für ein Unternehmen arbeiten, für das sie sich
nicht schämen müssen«. In Zeiten, wo das Markenimage das eigentliche Vermögen ist, das ein Unternehmen hat, ist Ethik also
nicht mehr »bloße« Ethik, sondern eine Investition. Leisinger: »Ethi sches Handeln reduziert das Risiko. Es ist wie mit einer |134| Versicherung. Sagen Sie, die Feuerversicherung rentiert sich nicht, wenn es nicht brennt? Auch im Falle ethischen Handelns
ist der Return of Investment schwer zu bestimmen. Aber eines ist klar: Wenn ich auf Gütermärkten erfolgreich sein will, muss
ich auf den Meinungsmärkten erfolgreich sein.«
Damit schloss der Manager, und ich muss sagen, dass die Schlussworte ziemlich treffsicher waren – er war damit selbst und
höchstpersönlich gerade auf einem Meinungsmarkt erfolgreich gewesen, nämlich auf meinem inneren Meinungsmarkt. Ich hatte einen
langweiligen Vormittag erwartet und wurde eines Besseren belehrt – ich hatte einen blitzgescheiten Mann kennengelernt, der
im Inneren der Kapitalzirkel auf seine Art den Druck verstärkte, den von Außen die globalisierungskritischen Aktivisten entwickelten.
Er wandelte die Energie der »No-Logo«- und Anti-Corporations-Kampagnen in eine Logik und Sprache um, mit der Manager und Firmenbosse
etwas anfangen konnten – in die Sprache von Investment, Risikoanalyse und Marketingstrategie. Er war so eine Art Naomi Klein
in Nadelstreifen.
Als ein paar Monate später mein Sohn von einem befreundeten Arzt zufällig eine Schirmkappe mit dem Novartis-Schriftzug geschenkt
bekam, wanderte die nicht, wie das üblicherweise mit Marketinggeschenken geschieht, die den Beschenkten zu einem wandelnden
Werbeträger machen, in den Papierkorb. Die Novartis-Kappe war in unseren Augen moralisch »clean«.
Herr Leisinger hatte also ganze Arbeit geleistet – und die Aporien der Wirtschaftsethik exemplarisch vor Augen geführt. Wirtschaftsethik
ist ein PR-Tool unter vielen, zielt auf die Öffentlichkeit ab. In diesem Einzelfall: auf einen kritischen Journalisten. Ob
jemand »gut ist« oder sich gut gibt, um den Geschäftsgang zu verbessern, lässt |135| sich oft gar nicht so leicht unterscheiden. Was aber vielleicht auch gar nicht so wichtig ist, wenn das Ergebnis stimmt. Dann
nämlich, wenn Unternehmen sich auch aus ihrem ureigenen kommerziellen Interesse heraus dafür entscheiden, üble Praktiken bleiben
zu lassen.
Etwa zur gleichen Zeit, als ich mit Klaus Leisinger im Hauptquartier der Wiener Industriellenvereinigung zusammensaß, versammelten
sich in den Konzernzentralen der Coca-Cola-Company die Marketingexperten und Pressesprecher, um Strategien zur Krisenabwehr
zu besprechen – und dafür hätten sie die Ratschläge Leisingers gut gebrauchen können. Dabei sollte dieses erste Halbjahr des
Jahres 2006 ein besonders gutes Jahr für die Firma werden. Coca-Cola war Hauptsponsor der Fußball-Weltmeisterschaft in
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