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Alles Ware - Glanz und Elend der Kommerzkultur

Titel: Alles Ware - Glanz und Elend der Kommerzkultur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Misik
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profitieren, ins Visier markenkritischer Aktivisten geraten
     sind, wurde in den vergangenen zehn, fünfzehn Jahren sehr lang. Und das Ergebnis ist immer das gleiche: Wenn die »Name and
     shame«-Kampagnen der Anti-Konzern-Aktivisten vorüber sind, sind die Vergehen der Unternehmen meist abgestellt. Ein drastisches
     Beispiel ist der Sportartikelhersteller Nike, der in den neunziger Jahren wegen der Zustände bei formal unabhängigen Zulieferern
     in Asien, sogenannten Sweat-Shops, in die Bredouille geriet. Heute werden wohl in praktisch allen Nike-Produktionsstätten
     ordentliche Arbeitsbedingungen penibel beachtet – einen solchen Sturm will das Unternehmen nicht noch einmal erleben. Damit
     nur ja kein Verdacht mehr aufkommt, hat Nike sogar Videos drehen lassen, in denen man sieht, wie es in den Fabriken zugeht
     – und für die Verbreitung der Bilder via CNN gesorgt. Andere Unternehmen |141| gingen noch weiter. Sie ließen Überwachungsvideos in den Produktionshallen der Zulieferer aufstellen – die Bilder kann man
     live als Webcast im Internet sehen. Wer will, kann also den Zuschneidern und Näherinnen bei der Arbeit zusehen – eine Art
     Reality-TV der globalen Arbeitsteilung. »Merkwürdige Vorstellung, dass Konsumenten im Westen den Arbeiterinnen der Dritten
     Welt dabei zusehen, wie sie – ethisch korrekt, versteht sich – ihre Produkte fertigen«, schrieb die linke Berliner Wochenzeitung
Jungle World
.
    Aber frei von Paradoxien und Ambiguitäten ist die kapitalistische Welt nun einmal nicht.
    Manche Unternehmen beschlossen aus schierer Angst Maßnahmen zur Verbesserung der Menschenrechtslage in ihrem Einflussbereich,
     von denen man sich sogar fragen muss, ob sie nicht kontraproduktiv sind. Weil Zulieferer der amerikanischen Textilindustrie
     in Bangladesch fürchteten, wegen der verbreiteten Praxis der Kinderarbeit Probleme zu bekommen, haben sie die Kinder unter
     15 Jahren kurzerhand entlassen. Eine Studie zeigte, dass 70 Prozent der Kinder ein Jahr später auf schlechteren Stellen arbeiteten
     und 10 Prozent der Mädchen sogar in die Prostitution abgerutscht waren. Das »ethische Wirtschaften« hatte für sie also nicht
     gerade eine Verbesserung ihrer Lage gebracht. Die Jeansfirma Levi Strauss ging angesichts dessen einen, wie man sagen muss,
     mutigen Schritt: Sie schaffte die Kinderarbeit ostentativ
nicht
ab. Die Levi-Strauss-Manager beschlossen vielmehr, die Kinder nicht einfach zu entlassen – weil das deren Lebenssituation
     um nichts bessern würde –, sondern ihre Arbeitszeit zu reduzieren und in unmittelbarer Nähe der Fabriken Schulen zu bauen.
     In die müssen jetzt alle Kinder unter 15 Jahre gehen, wenn sie bei Levi-Strauss arbeiten wollen.
    Skurril ist das schon: Wer Levi’s-Jeans kauft, kann die |142| guten Gewissens tragen,
obwohl
für ihre Produktion Kinderarbeit verwandt wird.
    »Ethische Unternehmensführung«, so konstatierte die Berliner
tageszeitung
, »hilft, den Gewinn zu steigern« 133 – und hilft noch mehr, unerwünschte Gewinneinbußen zu verhindern. Natürlich wäre es etwas blauäugig, gleich zu proklamieren,
     die globale Markenwirtschaft mache die Welt besser und gerechter. Denn es sind ja vor allem die Power-Brands und Lifestylemarken,
     die auf ihr Image bedacht sind und deshalb aufpassen müssen, dass nirgendwo auf der Welt in irgendeiner ihrer Fabriken etwas
     Schlimmes geschieht. Ein asiatisches, afrikanisches oder lateinamerikanisches Unternehmen, das beispielsweise Zinn oder Kupfer
     an westliche Elektronikkonzerne liefert, wird eher selten in die Schlagzeilen kommen – schließlich kennt es kein Mensch in
     der westlichen Welt. Die allermeisten Firmen dieser Erde sind für die allermeisten Bewohner dieser Erde immer noch No-Name-Firmen,
     und ihr Verhalten ist deshalb in der Regel schwer skandalisierbar. Allerdings: Die Welt ist klein, und Geschäftsbeziehungen
     zwischen westlichen Markenkonzernen und zweifelhaften Firmen in Ländern, in denen Menschenrechte nichts gelten, bleiben selten
     lange geheim. Und die öffentliche Meinung verzeiht wenig. Sicher, man erwartet von einer Firma nicht, dass sie sich darum
     kümmert, unter welchen Bedingungen das Papier für die Drucksorten, die sie verwendet, hergestellt wird – aber wenn sie von
     günstigen Preisen fixer Geschäftspartner profitiert, erwartet man in zunehmendem Maße, dass sie nachfragt, warum denn deren
     Angebote so verdammt günstig sind. Das macht die Manager sensibel.
    Deswegen entsteht

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