Alles Ware - Glanz und Elend der Kommerzkultur
Illusion als ein praktikabler Weg zur Weltverbesserung ist, eher »Hype« als »Hope«.
Denn für jedes umwelt- und menschenfreundlich produzierte Gut gibt es viele andere, die unter miserablen Bedingungen hergestellt
werden. Zudem ist vielen Unternehmen ein aggressives Verhalten praktisch in ihr Geschäftsmodell eingeschrieben: Billigketten
wie Wal-Mart, Lidl oder ähnliche können eben nur deshalb so preisgünstig verkaufen, weil sie niedrige Löhne zahlen und sparen,
wo immer das möglich ist: bei Arbeitsrecht, Umweltschutz, Sicherheit. Und Firmen wie, sagen wir, BP (British Petrol) können
noch so schöne Bekenntnisse zu einer sauberen Umwelt abgeben, sie sind nun einmal Ölfirmen. 285 Milliarden Dollar hat die
Company im Jahr 2004 im Ölgeschäft verdient, 400 Millionen durch Investitionen in die saubere Solarenergie. Angesichts solcher
Zahlen sind die ökonomischen Anreize zum Umweltschutz eher beschränkt – da braucht es staatliche Regeln, Moral allein wird
wenig helfen.
Zumal die Geschäftsleute ja auch vom Markt unterschiedliche Signale bekommen. Einerseits wollen die Konsumenten gesunde Produkte,
die die Umwelt nicht ruinieren und nicht mit dem Blut, dem Schweiß und den Tränen halbversklavter Arbeiter aus der Dritten
Welt produziert sind – andererseits wollen sie die Produkte zu einem möglichst |146| günstigen Preis. Wer zur Greenpeace-Demo mit dem Billigflieger von Air Berlin anreist, der verhält sich, nun ja, etwas inkonsequent,
um das Mindeste zu sagen. Aber Inkonsequenzen dieser Art bilden den Fundus der »Marktsignale«, die Unternehmen erhalten.
All das ist bekannt, auch irgendwie folgerichtig und logisch: Dass in den Konsumenten widersprüchliche Logiken im Streit liegen
und dass »ethisches Wirtschaften« im Kulturkapitalismus imagerelevant ist – und damit wesentlich für den Geschäftsgang. Aber
es hat auch eigenartige Implikationen und Folgen, die alle mit dem Umstand zu tun haben, dass die Markenkritik in der Logik
der Marke formuliert wird, der Protest gegen die Auswüchse der Marktökonomie mit den Mitteln der Marktökonomie operiert. »Der
konzernkritische Aktivismus steht«, um das mit Isolde Charims Worten zu sagen, »auf dem Boden des Kulturkapitalismus – er
will diesen nicht beseitigen, sondern ihn beim Wort nehmen. Bei dem Wort seiner Markenidentität, die nicht nur Glückskategorien,
sondern auch jene des guten Gewissens bemüht, also Sozial- und Umweltbewusstsein. Die Aktivisten haben erkannt, dass die Marken
mit ihren umfassenden Versprechungen die Achillesferse des alles durchdringenden Kapitalismus sind. Um als Marke zu funktionieren,
muss sie glaubwürdig sein. Diese Glaubwürdigkeit ist das mentale Kapital, das sie angreifbar macht.« Die Ethik wird gewissermaßen
»in die Kategorien des Marktes übersetzt«, und so ist die Logik der Boykotte gegen Firmen, die sich schlecht verhalten, nicht
eine der Askese, sondern selbst eine des Konsumismus – nur eben des Konsums »von anderen Marken«. Das politische Eingreifen
des Citoyens unterscheidet sich nicht mehr von der Marktaktion des Konsumenten, nein, die ethischen Konsumenten »werden als
Konsumenten zu Citoyens« 137 .
|147| Das Motto lautet: Ich kaufe, also bin ich gut. Exakter: Ich kaufe diese Ware nicht, sondern jene, also bin ich gut. Früher
riefen Ökoaktivisten zum Boykott auf – heute ist daraus der ›Buy‹cott geworden.
In den achtziger Jahren wurde die ökologische Kritik noch im Verzichtsjargon vorgetragen. Doch diese freudlosen Jahre liegen
weit zurück. Heute zeichnet sich der korrekte Verbraucher nicht dadurch aus, dass er nicht kauft, sondern dass er das Richtige
kauft. »Leute, kauft Hybrid-Autos von Toyota«, dieser Marketingschrei stammt nicht aus der PR-Abteilung des japanischen Konzerns,
sondern von der Fraktionschefin der deutschen Grünen, Renate Künast.
So wird auch der Kampf gegen Kommerzialisierung und Power-Brands mit den Mitteln des Branding geführt. Nicht nur, dass Markenkritiker
wie Naomi Klein zu Celebrities werden und damit zu so etwas wie Marken, auch konzernkritische Pressure-Groups wie das kanadische
Adbuster-Netzwerk ( www.adbuster.org ) adaptieren wie automatisch die Zeichensprache der Markenwelt – die Zeitschrift der Gruppe unterscheidet sich ästhetisch
kaum mehr von den kommerziellen Hochglanzprodukten des Lifestyle-Business. So entsteht eine regelrechte Gegenökonomie, die
sich in manchem von der
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