Alles Ware - Glanz und Elend der Kommerzkultur
Gesichtspunkte, etwa die Einhaltung menschenwürdiger Arbeitsbedingungen und arbeitsrechtlicher
Mindeststandards in außereuropäischen Betrieben, wo wir etwa Latex oder Kokosfasern einkaufen.« Von selbst versteht sich,
dass Materialien, zu deren Entwicklung Tierversuche notwendig waren, es nie in Grüne-Erde-Läden schaffen würden, und ebenso,
dass in diesen Läden viele Frauen arbeiten, die die frauenfreundliche Arbeitskultur schätzen, und viele behinderte Mitarbeiter,
für deren vorbildliche Integration die Firma den »Homer-Preis« verliehen bekam.
Dagegen wäre nichts einzuwenden, wenngleich der ostentativ präsentierte Umstand, dass nicht in der Dritten Welt produziert
wird, ein wenig vom Geist des Protektionismus umweht ist (schließlich bekommen die Länder in der südlichen Hemisphäre nur
dann etwas vom Wohlstand ab, wenn sie – möglichst fairen – Zugang zu westlichen Märkten erhalten). Aber Preise von 780 € für
eine simple Federdecke oder von 850 € für ein Gitterbett machen die Grüne-Erde-Produkte zu klassischen Positionsgütern, die
sich nur die obersten Zehntausend leisten können. Und die bekommen für den Kauf der Prestigeware, anders als jemand, der sich
eine protzige Villa baut oder einen Pelzmantel zulegt, auch noch ein gutes Gewissen mitgeliefert. Firmen wie Grüne Erde (oder
wie der Manufactum-Versandhandel, von dem wir im vorigen Kapitel hörten) treiben das Konzept des »ethischen Wirtschaftens«
auf seine groteske Spitze: »Good Business« ist in diesem Segment gehobenen, politisch korrekten Konsums nicht mehr nur eine
Versicherung gegen Imageverlust und gegen eine Bedrohung der Profite, nein, findig und kompromisslos umgesetzt, kann es der
Königsweg zu Extraprofiten sein – abgeschöpft von einer Kundschaft, deren antikommerzielle, konsum- und kapitalismuskritische
Grundhaltung |152| sie dazu verführt, Phantasiesummen zu zahlen, um guten Gewissens konsumieren zu können. Die Unterschichten, die sich nur den
Trash leisten können, werden damit auch noch moralisch deklassiert.
Der euphemistische Doppelsinn des Wortes von den »gu ten Geschäften« zeigt so seine innere Wahrheit.
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|153| 8. Oberchic und Unterchic
Oben stellt man die eigene Verfeinerung aus, und unten isst man Chips.
Oder: Wer kulturell und materiell abgehängt ist, der kommt da nicht mehr raus.
Gewiss ist der Kulturkapitalismus ein freundlicher Ort, an dem es sich gut leben lässt. Jederzeit kann man hier ein interessantes
Erlebnis konsumieren, für die Erfüllung jeder denkbaren Sehnsucht gibt es ein Angebot. Das Leben ist, anders als im fordistischen
Zeitalter mit seinem starken Zug zu dem, was Soziologen damals die »nivellierte Mittelstandsgesellschaft« nannten, bunter
geworden, es ist nicht mehr in das drückende Gehäuse der strengen Standardisierung gezwungen. Deshalb behaupten manche Denker,
der »Kulturkapitalismus«, der »Konsumkapitalis mus « oder »die Erlebnisgesellschaft« (man benütze das Attribut, das einem am besten gefällt), sei zugleich eine große Gleichmacher-
und Differenzierungsmaschine. Differenzierungsmaschine deshalb, weil jeder anders sein darf als der Andere, ja weil von jedem
erwartet wird, dass er nicht den Mainstream verkörpert, nicht Durchschnitt ist, also, mit einem anderen Wort, kein langweiliger
»Nor malo «; ebenso aber sei er eine Gleichmachermaschine, weil jeder Lebensstil als gleich wertvoll gilt wie der andere. Die Menschen
haben ein Distinktionsbedürfnis, aber es existiere keine zentrale Norm mehr, die bestimme, welcher Lebensstil »besser« als
der andere sei. Bürgerstil, Bobo-Stil, Boheme-Stil, Spießer-Stil, Radical Chic, Jeunesse doreé & Unterschichtenstil
– alles gleich viel wert. Zwar gäbe es Menschen, die mehr Geld verdienen als die |154| anderen und einen höheren Lebensstandard haben, aber mit dem Schichten- oder gar Klassenmodell ließe sich diese durchlässige,
flexible, sich ständig in Umwälzung befindliche Gesellschaft einfach nicht mehr treffsicher beschreiben, so die Behauptung.
Paradigmatisch hat diese These der deutsche Soziologe Gerhard Schulze formuliert: »Die materiell Gleichgestellten«, proklamiert
er, »sind kulturell zu heterogen und die kulturell Ähnlichen materiell zu ungleich, als dass das Modell der geschichteten
Gesellschaft noch passen würde; seine Zeit ist um.« 140 Der Vorstellung der in Klassen geschichteten Gesellschaft liege, so Schulze, ein
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