Alles Ware - Glanz und Elend der Kommerzkultur
»vertikales Modell« zugrunde, die Idee einer
allgemeinen »Hackordnung von Dünkel und symbolischer Unterordnung«, während ein horizontales Modell gleichberechtigter Stilgemeinschaften
der Wirklichkeit viel näher komme – von Stilgemeinschaften, die sich wechselseitig zwar vielleicht dünkelhaft voneinander
abgrenzen mögen, das aber gewissermaßen auf gleicher Augenhöhe.
Mit anderen Worten: Alle sind irgendwie anders als die Anderen, aber Oberschicht und Unterschicht, die gibt’s nicht mehr.
Manches mag an Schulzes Stildifferenz-Beobachtung auch nicht völlig falsch sein, doch ist offenkundig, dass sie einen Sachverhalt
ausblenden muss: Die postfordistischen Gesellschaften werden zunehmend ungleicher, und zwar nicht nur in der erfreulichen
Hinsicht, dass eben jedem gestattet ist, anders als die Anderen zu sein, sondern auch in der weniger erfreulichen, dass es
gesellschaftliche Leitsegmente gibt, deren Angehörigen alle Chancen offenstehen, und ein wachsendes Segment an Prekarität,
Dauerarmut, Abgehängtheit, wo sich Chancenarmut konzentriert. In einer Hinsicht ist die Beobachtung sogar grandios falsch:
Sie unterstellt, die kulturelle Differenzierung entschärfe |155| Ungleichheiten. In Wirklichkeit ist wohl das Gegenteil der Fall, da sich »soziale Schwäche« heute nicht mehr allein materiell,
sondern auch kulturell begründet. Wie das funktioniert, ist leicht erklärt: Wenn heute Image alles ist, heißt das natürlich
auch, dass es gesellschaftliche Gruppen gibt, die ein »modernes« Image haben, und andere, die ein »schlechtes« Image haben
– und dass der Imagenachteil der Unterprivilegierten materielle Nachteile noch potenziert; wenn Identität über Konsum konstituiert
wird, ergibt sich zwangsläufig, dass manche Zugang zu einem exklusiveren »Ich« haben, während sich die Anderen das ihre bei
Lidl und in der Resterampe zusammenkaufen müssen; und wenn im Kulturkapitalismus kulturelle, symbolische Kompetenzen ganz
entscheidend |156| sind, haben diejenigen einen kaum mehr aufholbaren Nachteil, denen es an diesen Kompetenzen gebricht. Soziale Ungleichheit
ergibt sich, nach den Worten des Berliner Soziologen Michael Markopoulos, heute eben nicht mehr »nur aus materieller Deprivation,
sondern auch aus mangelnder kommunikativer Anschlussfähigkeit innerhalb eines gesamtgesellschaftlichen Dispositivs der individuellen
und kollektiven Optimierungen« 141 .
|155|
Zusammenprall der Kulturen.
Over- und Underground, traut vereint.
|156| Anders gesagt: Wer nicht hip und trendy ist, der ist unten durch. Die Armen sind heute nicht nur arm, sie sind auch uncool.
Die Armen, das sind die, von denen flotte Neoliberale wie etwa Ulf Poschardt, der Chefredakteur der
Vanity Fair
, sagen, sie lebten im »Hartz-IV-Luxus«, und man solle ihnen eine »Chance auf ein Leben ohne staatliche Subvention« gönnen.
Da wird dann forsch gefordert, man müsse mehr »Härte ins Leben« bringen. Dabei ist natürlich immer gemeint: mehr Härte ins
Leben der Anderen.
Bedrängte pekuniäre Verhältnisse sind ein Indikator für Unterprivilegiertheit. Aber sie sind nicht der einzige. Und im Kultur-
und Lifestylekapitalismus wächst logischerweise die Bedeutung dieser »sanften«, schwerer messbaren Faktoren. Bleiben wir gleich
bei der Vokabel »Kommuni kation «. Kommunikation ist ein betörender, aber auch in die Irre führender Begriff. Ohne Zweifel haben die technologischen Revolutionen
die Welt zu einem Ort gemacht, an dem ununterbrochen Aberbilliarden an Megabits an Zeichensignalen rund um den Globus gesandt
werden – und ebenso zweifellos sind heute mehr Leute »Sender«, also fähig, sich Gehör zu schaffen und Aufmerksamkeit auf sich
zu lenken. Gerade jetzt, also am Ende der ersten Dekade des neuen Jahrtausends, bahnt sich eine neue »Internet-Revolution«
an, wird das globale Web von Datenströmen interaktiver, niedrigschwelliger, demokratischer. |157| Im Wort »Kommunikation« klingt das an. Wer »Kommunikation« sagt, meint eher Dialog, nicht Befehl und Gehorsam. Gleichzeitig
gilt aber nicht weniger, nur auf etwas raffiniertere Weise als in früheren Zeiten, dass »›Dialog‹ oft genug ein an die Machtlosen
gerichteter Monolog der Mächtigen« 142 ist, wie das Terry Eagleton einst formulierte. Bloß ist »Macht« ein Begriff, der nicht allein mehr ökonomische Macht oder
politischen Einfluss meint. Die »Zeichenmächtigen« und »Experten für das
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