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Alles, was er wollte: Roman (German Edition)

Alles, was er wollte: Roman (German Edition)

Titel: Alles, was er wollte: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anita Shreve
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Tätigkeit in Thrupp ein kleines Haus gemietet habe.
    Ich hoffe, Sie und Ihre Kinder haben im Kreis Ihrer Schwester und deren Familie ein schönes Weihnachtsfest verbracht.
    Ihr
    Phillip Asher

Exeter
    15. Januar 1915
    Lieber Mr. Asher,
    verzeihen Sie mein Schweigen.
    Etna Van Tassel

14 Gill Street
    18. Januar 1915
    Liebe Mrs. Van Tassel,
    es gibt nichts zu verzeihen. Ihr Schweigen ist absolut verständlich. Ich wünsche Ihnen, daß die Schwierigkeiten, mit denen Sie sich auseinandersetzen müssen, ein schnelles und erfreuliches Ende finden werden.
    Phillip Asher

Exeter
    22. Januar 1915
    Lieber Mr. Asher,
    ich frage Sie als Ethiker: Hat eine verheiratete Frau mit Kindern das Recht, einen Teil ihres Lebens ausschließlich für sich allein zu führen? Darf sich diese Frau, wenn sie weiß, daß sie weder ihren Kindern noch ihrem Mann damit schadet, an einen Ort zurückziehen, der unantastbar ist, zu dem sie allein Zutritt hat, an dem nur sie sich aufhält; dies alles zur eigenen Bildung und Erholung, um etwa zu lesen oder zu nähen, vielleicht auch Briefe oder Gedichte zu schreiben? Wird nicht jedem Mann eines gewissen Bildungsgrads fraglos ein solcher Rückzugsort zugestanden, der unantastbar ist, wo weder Ehefrau noch Kinder willkommen sind, wo er nach Gutdünken lesen, rauchen, schreiben, sich in geistige Betrachtung versenken oder auch Freunde und Kollegen empfangen kann – ein Raum, den man allgemein als Arbeitszimmer, Büro oder Bibliothek bezeichnet? Wenn das aber so ist, warum soll dann eine Frau – verheiratet und mit Kindern – kein Recht auf einen ähnlichen Rückzugsort haben? Und warum sollte es dieser Frau, wenn sie sieht, daß in ihrem eigenen Heim wegen der ständigen Inanspruchnahme durch die Kinder, die Dienstboten und selbst durch ihren Mann sowie infolge des mangelnden Respekts vor ihren Bedürfnissen kein Rückzug möglich ist, warum sollte es dieser Frau dann nicht erlaubt sein, sich anderswo eine Zuflucht zu suchen, von der keines der Familienmitglieder weiß?
    Ich erwarte Ihre Antwort auf diese Fragen, die mich Tag und Nacht beschäftigen und die der Kern einer, wie Sie zutreffend vernommen haben, schweren ehelichen Verstimmung sind.
    Mit Achtung vor Ihrem Urteil
    Etna Bliss Van Tassel

14 Gill Street
    27. Januar 1915
    Liebe Mrs. Van Tassel,
    ich empfinde es als eine große Ehre, daß Sie mich in Details Ihrer ehelichen Krise einweihen und sich darauf verlassen, daß ich Ihnen bei der Beantwortung schwieriger Fragen helfen kann. Aber ich muß Ihnen sagen, daß ich nur ein Universitätslehrer bin und kein Richter über menschliches und gesellschaftliches Verhalten. Ich bin nicht verheiratet und war es nie. Die Ehe ist eine besondere Welt, deren Bewohner ein eigenes Wissen besitzen und eine eigene Sprache sprechen. Beides kann man nicht haben, ohne verheiratet zu sein. (Aus ebendiesem Grund sind unverheiratete Geistliche und Richter in meinen Augen besonders schlechte Berater für Menschen, die bei Ehestreitigkeiten Hilfe suchen.) Aber da ich Wissenschaftler bin, werde ich Ihnen, wenn Sie gestatten, einige Fragen stellen, durch deren Beantwortung Sie vielleicht besseren Einblick in Ihre Schwierigkeiten gewinnen werden.
    Wird nicht der persönliche Rückzugsort des Ehemanns, von dem Sie sprechen – der unantastbare Raum im Haus, den wir im allgemeinen Arbeitszimmer oder Bibliothek nennen –, im Grunde genommen in dem Moment zwischen den beiden Ehepartnern vereinbart, wo sie sich in einer gemeinsamen Wohnung niederlassen und ein Raum zu ebendiesem Zweck bestimmt wird? Oder, um es anders zu sagen, kann ein Rückzugsort, der nicht zwischen beiden Ehepartnern vereinbart wurde, der einem der Partner nicht einmal bekannt ist, gleichermaßen respektiert werden? Hätte eine Frau nicht guten Grund, ihrem Ehemann zu mißtrauen, wenn sie entdeckte, daß er heimlich ein Zimmer gemietet hat, selbst wenn der Ehemann dort lediglich lesen, schreiben und nachdenken wollte? Wäre die Entdeckung eines solchen geheimen Raums nicht eine allzu schwere Belastung für das Vertrauen zwischen einem Mann und seiner Frau?
    Mrs. Van Tassel, ich kann über Ihre Situation nur Vermutungen anstellen, da ich nichts darüber weiß. Und, was wichtiger ist, ich weiß nichts über Ihr gesundheitliches und seelisches Befinden. Die Fragen, die Sie mir gestellt haben, sind schwerwiegender Natur, sie sind an sich schon beunruhigend und um so beunruhigender für mich, da ich Ihren Gatten täglich sehe, der, das muß ich Ihnen

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