Alles, was er wollte: Roman (German Edition)
einer Frau spiegelte; selbst Moxons Wohnungseinrichtung war im Vergleich dazu als karg zu bezeichnen.) Die unzähligen Pflanzen, die auf Konsolen und Etageren herumstanden oder an Haken von der Zimmerdecke herabhingen, ließen kaum Licht ins Zimmer; wie Bliss hier hatte Zeitung lesen können, war mir schleierhaft, aber vielleicht war er ja aus seinem Arbeitszimmer gekommen. Es zeugte mindestens von William Bliss’ Liebe zu seiner Frau, daß er sich diesen Bombast gefallen ließ.
»Setzen Sie sich, Van Tassel.«
»Danke.«
»Dort vielleicht. Oh, warten Sie, ich nehme das weg.«
»Nein, nein, das geht schon.«
»Ich kann Ihnen nicht genug danken. Meine Frau sagt, Sie hätten sich wirklich heldenhaft verhalten.«
»Unsinn, ich habe nicht mehr getan, als jeder andere auch getan hätte.«
»Sie sind zu bescheiden. Im College wird vermutlich von nichts anderem gesprochen.«
»Richtig. Ich habe meine Seminare ausfallen lassen.«
»Ach? Eine ausgezeichnete Idee.«
Manchmal kommt es mir so vor, als sei das Leben wie ein einziger Kampf, die natürlichen Impulse zurückzudrängen, und das, was wir Charakter nennen, verkörpere lediglich das Maß unseres Erfolgs bei diesem Bemühen. In jener Zeit meines Lebens war es häufig ein verzweifelter Kampf – den Körper zu trainieren, wenn man keine Lust dazu hatte; einem Studenten gegenüber nicht handgreiflich zu werden, obwohl er den Schlag verdient hätte; den eigenen Ehrgeiz im Dienst der anderen zurückzustellen; Leidenschaften zu zügeln, die sich, unbezähmt, in schockierendem Verhalten hätten äußern können –, und ich ging, wie die meisten Kämpfer, nicht immer siegreich aus diesen Schlachten hervor. Es kam leider viel zu häufig zu erschreckenden Brüchen meiner Selbstbeherrschung, zum Beispiel wenn ich völlig außer mir einen Studenten aufs schärfste abkanzelte und damit zwar meinen eigenen Zorn besänftigte, den Studenten aber zu einem zitternden Häufchen Elend machte; oder wenn ich es nicht lassen konnte, einen Kollegen schlechtzumachen, um die Gunst eines anderen zu erlangen; oder wenn einen Moment lang die Maske untadeligen Betragens fiel und sich die tiefe Bedürftigkeit dahinter zeigte; wie es vermutlich, wenn auch nur flüchtig, in dem Augenblick der Stille geschah, der auf Etnas Eintritt in das Zimmer folgte, in dem ihr Onkel und ich saßen.
Bliss und ich erhoben uns höflich, und schon befürchtete ich, die Röte, die ich von meinem Hals in mein Gesicht emporsteigen fühlte (auch dies ein Erbe meiner niederländischen Vorfahren), könnte mich verraten. Mein Mund bebte, und ich versuchte, das Zucken zu verbergen, indem ich einen Finger auf die Oberlippe drückte; dabei entdeckte ich zu meiner Bekümmerung, während die Röte weiterstieg wie die Flut in einer Vollmondnacht, daß ich es an diesem Morgen versäumt hatte, mich zu rasieren, und nun ein rauher brauner Stoppelbart mein Kinn und meine Wangen überzog.
(Ich habe mich in Etnas Gegenwart niemals wohl gefühlt – oft freudig erregt, aber niemals wohl.)
Sie stellte das Tablett ab und bedeutete uns, wieder Platz zu nehmen.
»Professor Van Tassel. Ich hoffe, Sie haben nicht infolge des Dienstes, den Sie unserer Familie erwiesen haben, gelitten«, sagte sie.
»Van Tassel hat mir eben erzählt, daß zwanzig Menschen bei dem Brand umgekommen sind«, berichtete Bliss seiner Nichte.
Etna nahm dies, ganz anders als viele Frauen, die bei so trauriger Nachricht vielleicht einen Aufschrei für angebracht halten, mit bemerkenswertem Gleichmut auf.
»Unsere Feuerwehr hat sich bei diesem Anlaß leider als inkompetent in höchstem Maß erwiesen«, sagte ich. »Ich bin überzeugt, das wird ein Nachspiel haben.«
»Ich würde gern wissen, wer so geistesgegenwärtig war, die Fenster im Speisesaal zu öffnen.« Etna reichte mir eine Tasse Tee. »Ich würde mich gern bei ihm bedanken.«
Augenblicklich war ich eifersüchtig auf diesen Unbekannten – für mich gab es keinen Zweifel, daß es ein Mann war, auch wenn sich bisher noch niemand gemeldet hatte –, dem Etna Bliss’ Dank galt. »Manchmal möchte man nicht als Held herausgestellt werden«, sagte ich völlig unsinnig.
Etna Bliss hatte, wie ich später feststellen sollte, die Gewohnheit, mit ausdruckslosem Blick leicht zu lächeln, wodurch sie den Eindruck vermittelte, in Gedanken zu sein, ohne unhöflich zu wirken; genau das tat sie in diesem Moment; und ich muß sagen, als sie lächelte (die Lippen nur andeutungsweise nach oben gezogen),
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