Alles, was er wollte: Roman (German Edition)
Grenze des heiratsfähigen Alters. Ich meinte zu bemerken, daß Etna mich, wohl auf Grund meines kühnen Vorschlags, mit anderen Augen musterte. Ich wünschte, ich hätte am Morgen mehr Zeit auf meine Toilette verwendet, um ihr und Bliss das gefälligere Bild eines gepflegten und gutsituierten Mannes zu bieten. Er würde das Gehalt eines Professors gewiß nicht für ausreichend halten, eine Familie zu gründen (und er hatte recht damit), und ich würde ihn im gegebenen Moment davon unterrichten müssen, daß ich über ein bescheidenes privates Vermögen verfügte und es mir leisten konnte, eine Ehefrau zu ernähren. Auf solch kühnen Wegen ließ ich meiner Phantasie die Zügel schießen, bis Etna unvermittelt aufstand.
»Ich fürchte, ich habe meine Tante allzulange allein gelassen«, sagte sie und bot mir die Hand. »Leben Sie wohl, Professor Van Tassel.«
Wieder lag ihre Hand warm in der meinen. Ich konnte nicht umhin, meinen Blick zu ihrem kunstvoll dargebotenen Busen zu senken, ein liebliches Vorgebirge, das der Entdeckung harrte, und fragte mich (wie schnell doch Besitzdenken die Eifersucht erblühen läßt!), ob schon ein anderer Mann seine Hand dort hatte wandern lassen; ob diese gutaussehende und beeindruckende Frau schon viele Liebhaber gehabt hatte. Vielleicht verriet mich dieser Gedanke – ganz gewiß mein schweifender Blick –, denn als wollte sie sich bedecken, legte sie eine Hand auf genau jene Stelle, auf der mein Blick ruhte.
Und dann war sie fort.
Ich tauschte noch einige Förmlichkeiten mit Bliss, um nicht unhöflich zu erscheinen, aber ich hielt es kaum einen Augenblick länger in diesem stickigen Treibhaus aus. Ich bedurfte nicht nur dringend der frischen Luft, sondern auch der Gelegenheit, über Etna Bliss nachzudenken und meinem kleinen Schatz an Erinnerungen, in dem ich in ihrer Abwesenheit unaufhörlich herumkramen würde, Neues hinzuzufügen: einige gesprochene Worte; den Anblick schwarzer und bronzefarbener Seide, die über einem Busen spannte; ein unverhülltes, wenn auch flüchtiges Aufblitzen von Furcht in ihren Augen bei dem Gedanken an Gefangenschaft. Mit diesen spärlichen, aber unvergleichlichen Kostbarkeiten in meinem Besitz begab ich mich endlich zu meinem Frühstück.
Die gedämpften Lavendeltöne der Hügel Vermonts und das tiefblaue Band des Connecticut River schwinden aus dem Blickfeld, während wir von White River Junction, wo ich in den Zug gestiegen bin, nach Süden fahren. Mit etwas Glück ist es mir gelungen, für diese erste Etappe meiner Reise ein Abteil für mich allein zu reservieren; und da ich von New York aus einen Schlafwagen habe, kann ich hoffen, für mich zu bleiben, wie ich mir das bei der Reservierung wünschte. Ich gestehe, daß der Gedanke an den bevorstehenden Besuch in Südflorida mich etwas beunruhigt nach den alarmierenden Geschichten, die ich über Skorpione, Feuerameisen und malariaverseuchte Moskitos sowie über die drückende Hitze gehört habe. Eben der Hitze wegen habe ich neben meinen Büchern und Papieren und Etnas Kuchendose zwei weiße Leinenanzüge, mehrere leichte Baumwollhemden und ein neues Paar Leinenschuhe eingepackt. Schwierig wird es nur mit der Trauerkleidung werden, die ich zur Beerdigung meiner Schwester, eigentlicher Anlaß dieser Reise, wohl oder übel werde tragen müssen. Ich habe die Sachen aus der Aufbewahrung holen und direkt zu meinem Schneider zum Aufbügeln liefern lassen, weil ich sie nicht sehen wollte, diese Kleider, aus denen unweigerlich der Geruch nicht nur des Todes, sondern beinahe vernichtender Schuld aufsteigen wird – ganz zu schweigen vom Schmerz eines gebrochenen Herzens.
Wir kommen jetzt durch die Industriestädte Holyoke und Chicopee in Massachusetts, Schandflecke in der Landschaft Neuenglands, die mir stets gewisse ermüdende Aufsätze Hazlitts und Carlyles ins Gedächtnis rufen. Aber ich habe festgestellt, daß ich nur auf eine bestimmte Art und Weise die Augen zusammenzukneifen brauche, um das Bild dieser Landschaft zu verwischen und meinen gebündelten Blick auf die Eigenarten dieser Städte zu konzentrieren, deren Anblick erträglich ist: die gewellten Glasscheiben in den Fenstern der verödeten Fabrikgebäude zum Beispiel; oder eine geheimnisvolle schwarz-braune Limousine, die am Ende einer verlassenen Straße steht; oder eine Frau, die sich in kurzem Rock und Kopftuch gegen den Wind zu irgendeiner Kirche vorankämpft. Vielleicht ist dieser Trick des absichtlich verwischten, aber an bestimmten
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