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Alles, was er wollte: Roman (German Edition)

Alles, was er wollte: Roman (German Edition)

Titel: Alles, was er wollte: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anita Shreve
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nicht war. Wir sprachen nie über das Theaterstück, das wir inszeniert und aufgeführt hatten; sie schien die Geschichte ebensogern vergessen zu wollen wie ihr Vater. Aber mir fiel auf, daß Clara nicht mehr so unbeschwert war und allen Bemühungen, sie aufzumuntern, widerstand. Hatte sie einem vorher ständig damit in den Ohren gelegen, daß sie diese oder jene Freundin besuchen wolle, so verließ sie das Haus jetzt nur noch, um zur Schule zu gehen. Sie schloß das Jahr mit einem schlechten Zeugnis ab, nachdem ihre Noten im letzten Monat des Semesters drastisch abgesackt waren. Ich wußte, daß das eine Folge der dramatischen Ereignisse im Mai war, und hoffte, daß sie sich im Herbst wieder fangen würde.
    In den ersten Wochen dieses ungewöhnlich heißen Sommers blieb Etna zu Hause, eine geisterhafte Erscheinung, die ihren Pflichten wie aus weiter Distanz nachkam. An manchen Tagen verließ sie ihr Zimmer überhaupt nicht, und Tabletts voller Speisen, die sie kaum angerührt hatte, wurden in die Küche zurückgesandt. Wenn sie doch herunterkam, nähte sie wie gejagt, als wäre ihr von einem Aufseher in einer Fabrik ein Termin gesetzt worden. Sie pflegte im vorderen Zimmer zu sitzen, in ihrem alten Sessel, stichelte dort mit fliegenden Fingern, biß ungeduldig den Faden ab, schüttelte heftig die Seide oder das Leinen auf ihrem Schoß aus. Sie nähte Tischläufer und Kissenbezüge, Kinderkleider und Unterröcke. Sie fertigte Tischdecken und dann Vorhänge für ein nicht existierendes Zimmer. Sie stickte Monogramme und Kränze mit winzigen gelben Knoten. Sie machte ein Cape für Clara und ein Kleid mit tiefgesetzter Taille, vermutlich für sich selbst, aber sie trug es nie. Ich kenne den ganzen Bestand, weil er heute noch in einer Zedernholztruhe am Fußende von Etnas Bett liegt, da der Herr des Hauses es nicht über sich bringt, ihn an eine Wohlfahrtseinrichtung zu geben, wohin diese Aussteuer eigentlich gehört.
    Zweifellos haben die Worte Etnas Bett den Leser neugierig gemacht. In aller Stille und ohne großes Aufhebens zog Etna ins Gästezimmer und entfernte mit großer Geschwindigkeit alle ihre persönlichen Dinge aus unserem gemeinsamen Schlafzimmer. Sie schlief in einem schmalen, hohen weißen Bett, das in seiner Schmucklosigkeit beinahe klösterlich anmutete. Die bunte Quiltdecke vertauschte sie sofort gegen einen weißen Chenilleüberwurf. In heißen Nächten ließ sie manchmal ihre Zimmertür einen Spalt offen, um Luft zu bekommen. Dann sah ich sie, wenn ich auf meinem Weg zum Badezimmer dort vorüberkam, im Schlaf liegen, das Haar wirr auf dem Kopfkissen, die Arme auf eine für sie untypische unweibliche Art über den Kopf geworfen. Gebannt von dem Anblick, pflegte ich vor der Tür stehenzubleiben, denn dieses Zimmer war mir ebenso verboten wie das Bett meiner Frau. Es war für mich die einzige Gelegenheit, Etna Bliss Van Tassel in Frieden zu sehen. So begierig wie in den Tagen, als ich sie durch das Glas einer Fensterscheibe beobachtet hatte, sah ich jetzt, wie sich ihre Brust unter dem dünnen Leintuch hob und senkte, wie sich ihr Hals mit den zarten Falten über den Rand des Kopfkissens wölbte, wie ihre Lider im Traum flatterten. (Wovon träumte sie? Von wem? Von Phillip Asher? Von Samuel?) Manchmal packte mich ein heftiges Verlangen, und ich mußte meine ganze Willenskraft aufbieten, um nicht ins Zimmer zu gehen und mich neben meiner schlafenden Frau auf das Bett zu legen. Ich tat es nie. Ein solches Verhalten war unter den gegebenen Umständen undenkbar. Das Begehren des Ehemanns hatte keinen Platz in diesem Haus. Ich betete, soweit ich zu beten imstande war (unsere Sünden stehen ja wie Mauern zwischen uns und Gott), daß dieser Abscheu mit der Zeit vorbeigehen und wir eines Tages wieder Mann und Frau sein würden.
    Dieser Zustand hielt mehr als acht Wochen an.
    Im August legte es sich wie ein Giftschleier über das Haus, ja, über den ganzen Ort, wo in den Sommermonaten, wenn keine Studenten da waren, stets eine gespenstische, aber durchaus angenehme Leere herrschte. Tag für Tag erwachten wir unter einem drückenden grauen Himmel, der keinen Regen brachte. Unser Garten seitlich vom Haus verdorrte, weil ihm Wasser und liebevolle Pflege fehlten. Unser Gärtner wollte oder konnte offenbar ohne die Anweisungen seiner Herrin die wunderliche Schönheit nicht wiedererschaffen.
    Einzig Nicky schien unberührt von der Atmosphäre von Zurückweisung und Resignation im Haus. Wie ein Hund selbst bei einem

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