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Alles, was er wollte: Roman (German Edition)

Alles, was er wollte: Roman (German Edition)

Titel: Alles, was er wollte: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anita Shreve
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Lust gestillt, keine Schranke zwischen ihnen.
    Ach, hätte doch dieser Zustand ewig währen können.
    Ich hörte Stimmen aus dem Korridor und rührte Etna, die eingeschlafen war, sachte an. Sie zuckte zusammen, setzte sich auf und begann zu meiner Enttäuschung augenblicklich, ihre Kleider und ihr Haar in Ordnung zu bringen. Am liebsten hätte ich gesagt, sie solle es nicht tun, aber ich wußte, daß sie sich zu Tode schämen würde, wenn sie in so unaufgeräumtem Zustand von einem der Trauergäste ertappt würde.
    Mich selbst hatte eine so tiefe Mattigkeit ergriffen, daß ich kaum in der Lage war, die Knöpfe meines Hemdes zu schließen, die eine wonnige halbe Stunde zuvor von meiner Frau geöffnet worden waren.
    »Verzeih mir, Nicholas«, sagte Etna, mir den Rücken zugewandt. Sie war dabei, einzelne Haarsträhnen, die sich gelöst hatten, wieder hochzustecken.
    Ich drehte mich so, daß ich ihr Gesicht sehen konnte. »Es gibt nichts zu verzeihen«, sagte ich. »Im Gegenteil, Etna. Mir ist nach Feiern zumute.«
    »Ich bin nicht ich selbst.«
    »Du bist auf ganz wunderbare Weise du selbst.«
    »Nicholas!«
    »Aber genau so sollte es doch sein zwischen Mann und Frau«, entgegnete ich. »Du hast es praktisch selbst gesagt.«
    Etna drückte ihre Finger an die Schläfen und zog sie dann durch ihr Haar. Sie schloß ihre Arme über dem Kopf, als wollte sie sich verstecken.
    »Etna«, sagte ich.
    Sie ließ die Arme herabfallen. Sie musterte sich im Spiegel und sah, daß sie die aufgesteckten Haare erneut in Unordnung gebracht hatte und noch einmal von vorn anfangen müßte.
    »Mein Liebes«, sagte ich. »Ich hoffe, du schämst dich nicht.«
    »Mich schämen?«
    »Was ist es dann?« fragte ich, gegen die Distanz kämpfend, die sie schon wieder zwischen uns aufbaute. Ich spürte, wie meine Frau sich zurückzog. Vielleicht war der Rückzug auch schon abgeschlossen, denn als sie sich umdrehte, sah sie mich mit diesem halben Lächeln an, das ich so gut kannte – das Lächeln, das sie manchmal, in liebenswürdigen Momenten, mir schenkte, immer den Kindern und sogar Mary, wenn sie diese lobte. Ein Lächeln, das nichts bedeutete. Nichts! Ich hätte in diesem Moment lieber Verzweiflung gesehen oder tiefen Kummer als diese unanständig schnelle Rückverwandlung in die Ehefrau, die mir seit mehr als einem Jahrzehnt vertraut war. Ich fühlte mich zurückgestoßen. Es war, ohne daß ich mich hier der Blasphemie schuldig machen möchte, ein Gefühl, wie religiöse Mystiker es beschreiben, wenn sie von der Verfinsterung des göttlichen Lichts berichten. Ich wollte nicht meine frühere Ehefrau zurückhaben; ich wollte die haben, die sich mir gerade in ihrer ganzen herrlichen Sinnlichkeit offenbart hatte.
    Etna drehte sich also herum, berührte kurz meinen Fußknöchel (ich hatte nicht einmal meine Schuhe abgelegt) und war fort.
    Von einem Moment auf den anderen.
    Ich blieb liegen, wie man das tut, wenn man sich völlig ausgegeben hat und nur zu schlafen wünscht (es um so heftiger wünscht, wenn es nicht möglich ist). Nach einer Weile fand ich immerhin die Kraft, mein Hemd fertig zu knöpfen und meine Hose zu schließen. Wenn die Umstände Etna zu solcher Leidenschaft treiben konnten, sagte ich mir, dann würde das vielleicht wieder geschehen, zumal jetzt der Weg bereitet war und daher leichter sein würde. Ich würde sie vielleicht aus der Reserve locken oder auf Momente der Durchlässigkeit achten müssen, aber was einmal geschehen war, konnte doch gewiß auch wieder geschehen.
    So stellte ich eine Art inneren Gleichgewichts her, das ich dringend brauchte, um zu den Gästen unten zurückkehren zu können.
    Von dem Mittagessen, das der Beerdigung folgte, habe ich nicht viel in Erinnerung, außer einer merkwürdigen Begegnung mit Josip Keep, dem ich bis dahin tunlichst aus dem Weg gegangen war. Gegen Ende des Empfangs, als ich Etna beobachtete, die sich auf der anderen Seite des Raums von Arthur Hallock verabschiedete, stand Keep plötzlich neben mir. Vielleicht plagte ihn noch immer das Gefühl, an jenem lang vergangenen Sonntag morgen in seinem Haus in Exeter von mir ausmanövriert worden zu sein.
    Wie dem auch sei, er wählte diesen Augenblick, um mir eine Frage zu stellen, die mich verwirrte. »Hat sie das Gemälde verkauft?« fragte er in diesem vollen Bariton, der im Lauf der Jahre noch tiefer geworden war.
    »Welches Gemälde?« Ich drehte mich zu ihm. Das seidige schwarze Haar hatte sich gelichtet. Seine massige Gestalt war

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