Alles was ich sage ist wahr
erst einmal etwas trinken.« Die Schwester gießt eine gelbe Flüssigkeit in ein Glas mit Saugrohr und hält es Oma hin. »Hier«, sagt sie. »Trinken Sie das, dann fühlen Sie sich bald wieder besser. Essen dürfen Sie nämlich vorerst noch nichts.«
Olle starrt Oma mit großen Augen an, als sie durch das Saugrohr schlürft, und zupft Papa am Hosenbein.
»Hast du gehört, Papa?«, flüstert er. »Oma darf nichts essen!«
»Das hab ich gehört«, sagt Papa.
»Aber wir haben ihr doch Süßigkeiten mitgebracht! Und heute ist Samstag. Da darf man Süßigkeiten essen!«
Die Schwester lächelt Olle freundlich an.
»In ein paar Stunden darf sie wieder was essen. Da freut sie sich bestimmt über die Süßigkeiten, die du ihr mitgebracht hast! Meinst du nicht?«
Olle sieht sie skeptisch an.
»Aber dann sind wir vielleicht gar nicht mehr da«, sagt er. »Und was ist, wenn Oma will, dass wir ihre Süßigkeiten probieren?«
Von Omas Kissen ist ein angestrengtes Lachen zu hören.
»Magst du nicht vielleicht jetzt schon mal probieren, Olle?«, krächzt sie. »Damit ich später sicher sein kann, dass die Süßigkeiten auch schmecken, wie sie sollen?«
Olle nickt glücklich, schnappt Papa die Papiertüte aus der Hand und hüpft zu dem Stuhl neben Omas Bett.
»Ich setz mich hierher, Oma«, sagt er zufrieden. »Dann kannst du dir die Süßigkeiten schon mal angucken, wenn ich probiere.«
»Tu das«, sagt Oma. »Das wird spannend.«
Sie klingt fast wie immer, denke ich. Schön. Ich gehe zu ihr und gebe ihr einen Kuss auf die Wange.
»Hallo, Oma«, sage ich.
»Hallo, mein Mädchen.«
»Verflixt noch mal, du hast mir echt einen Schreck eingejagt!«
Oma tätschelt meine Hand.
»Nicht fluchen«, sagt sie und da kann ich endlich locker lassen. Meine Oma.
Wir bleiben fast zwei Stunden bei ihr und lösen Kreuzworträtsel, mümmeln Süßigkeiten, erzählen. Dann wird Oma müde und Olle ungeduldig, also gehen wir.
»Ich komme morgen wieder«, sage ich zu Oma. »Nach der Arbeit. Ich muss dir was ganz Wichtiges erzählen. Von Isak.«
Oma sieht mich an.
»Ihr seid aber noch nicht verheiratet, oder?«, fragt sie. »Ohne mich?«
Ich kichere.
»Noch nicht. Aber du musst dich beeilen, wieder gesund zu werden, weil es nur eine Frage der Zeit ist, wann wir es tun.«
»Das klingt gut«, sagt Oma. »Ich werde mich beeilen.«
* * *
»Und dann? Hast du einen Krankenwagen gerufen?«
Fanny hat Muffins gebacken, die wir zwischen Kissen auf dem Boden ihres Zimmers verputzen. Wie ein Picknick im Oktober. Es ist gemütlich und Fanny ist in wunderbarer Im-richtigen-Moment-die-Augen-aufreißen-Laune.
»Hm«, sage ich, den Mund voller Muffinkrümel.
»Und wie war das?«
Ich ziehe die Schultern hoch.
»Das war … ich weiß auch nicht so genau. Also, irgendwie hat man dabei das Gefühl, der Telefonhörer würde einem in der Hand explodieren, wenn man die dramatische Nummer wählt. Aber als ich mich dann endlich überwunden hatte, war es gar nicht so schlimm.«
»Okay, und dann? Als der Krankenwagen da war? Hatte er die Sirene an?«
Ich grinse sie an.
»Du klingst wie Olle«, sage ich.
Sie wirft ein Kissen nach mir.
»Bitte tausendmal um Entschuldigung«, sagt sie. »Aber das ist echt pervers spannend!«
Ich drücke das Wurfkissen an meine Brust und stütze mein Kinn darauf. Ich kann ja verstehen, dass sich das in Fannys Ohren wie ein Actionfilm anhört, aber in meiner Erinnerung ist es alles andere als spannend, Oma mit gebrochenem Bein auf dem Badezimmerboden zu finden. Das war echt ein traumatisches Erlebnis. Ich werde die Bilder auf der Netzhaut einfach nicht los, wie sie da lag und wimmerte, als ich sie gefunden habe, aber ich mag allmählich nicht mehr daran denken. Oma geht es wieder einigermaßen gut. Okay, sie liegt noch im Krankenhaus, aber trotzdem. Da könnte ich doch das Trauma auch ad acta legen und weitermachen, oder?
»Ja, ja«, sage ich. »Können wir das Thema wechseln?«
Fanny zuckt mit den Schultern.
»Klar«, sagt sie. »Worüber willst du reden?«
»Isak.«
»Wie überraschend.«
Danach erzähle ich von der Dramatik um Isak statt der Dramatik um Oma. Das fühlt sich gleich viel besser an. Da lauert nirgendwo ein Trauma, nur schöne Gefühle und Glücksblubber im Bauch. Fanny kommt zwar mit ein paar äußerst störenden Kommentaren zu Aschenputtel an, aber die ignoriere ich einfach. Kann sie das nicht mal vergessen? So schwer kann das doch nicht sein. Isak hat das auch galant gemeistert.
»Also,
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