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Alles was ich sage ist wahr

Alles was ich sage ist wahr

Titel: Alles was ich sage ist wahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Bjaerbo
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redet Mama weiter, »fühle ich mich nun, wo es eingetroffen ist, irgendwie … betrogen. Jetzt sollte sie doch noch nicht sterben! Und nicht so!«
    Mama schnauft und wischt sich mit dem Handrücken Wimperntusche über die Wange.
    »Meine Güte«, seufzt sie. »Was für eine kindische Mutter du hast, Alicia.«
    Ich schüttele den Kopf.
    »Ach was«, sage ich, »ist schon okay. Du darfst so kindisch sein, wie du willst. Deine Mutter ist gerade gestorben.«
    Das hört sich richtig gut an, finde ich. Aber offenbar war es das Falsche.
    Mamas Augen laufen wieder über und die Schultern fangen erneut an zu zittern.
    »Meine kleine Mama, ja«, sagt sie schniefend. »Und deine kleine, feine Oma.«
    Es versetzt mir einen Stich, als sie das mit der feinen Oma sagt, ich kriege einen Kloß im Hals, meine Augen brennen und ich denke: Yes! Endlich! Endlich kann ich auch weinen! HALLELUJA!
    Aber dann schlucke ich und der Kloß ist wieder weg. Scheiße.
    »Kannst du begreifen, dass sie nicht mehr da ist?«, fragt Mama nach einer Weile.
    Das ist die einfachste Frage, die sie mir seit Langem gestellt hat.
    »Nein«, sage ich. »Absolut nicht.«
    * * *
    »Oma?«
    »Ja, mein Mädchen?«
    »Ich liebe den Sessel.«
    »Ich auch. Runter mit den Füßen.«
    »Ich habe noch nie darüber nachgedacht, weil du immer darin sitzt und ich nie die Chance hatte, mal probezusitzen. Aber der ist wirklich gemütlich. So schön weich. Und hübsch aussehen tut er auch.«
    »Nimm die Füße runter, sage ich!«
    »Ja, ja.«
    »Sofort!«
    »Ja doch, nerv nicht. Ich wollte ja nur mal gründlich nachfühlen, wo ich endlich die Gelegenheit habe.«
    »Ich vererbe ihn dir nach meinem Tod. Dann kannst du mit den Füßen auf dem Polster sitzen, so viel du willst.«
    »Sei still.«
    »Das würde mir gefallen.«
    »Still!«
    »Wenn der Sessel nach …«
    »GUCK MAL! Keine Füße! Gerader Rücken. Hände auf den Knien! Können wir jetzt bitte über was anderes reden? Du stirbst nicht, hab ich gesagt. Was an dem Satz hast du nicht verstanden?«
    * * *
    Am nächsten Tag muss ich mit Sofia arbeiten. Ich bin so unmotiviert, zur Arbeit zu gehen, dass ich wie mit Bleifüßen zwischen Küche und Schlafzimmer und Badezimmer und Schlafzimmer und Küche in den Flur und zur Tür raus- schlurfe. So langsam bin ich noch nie Rad gefahren.
    »Du bist spät dran«, begrüßt Sofia mich, als ich zur Tür reinkomme.
    »Glaub ich gern.«
    Sofia mustert mich skeptisch und registriert die Details meiner Kleidung. Das knitterige T-Shirt, in dem ich geschlafen habe. Der gepunktete Rock. Die Flecken auf dem gepunkteten Rock. Der Opahut auf dem Kopf. Die Ringe unter den Augen.
    »Du siehst ganz schön fertig aus«, stellt sie fest.
    »Glaube ich gern«, sage ich wieder.
    Sie verzieht den Mund und durchbohrt mich mit ihrem Blick.
    »Du hast ja wohl hoffentlich nicht die Nacht durchgefeiert, oder?«
    Sie ist echt komisch. Wie schlecht sie mich doch kennt! Die Nacht durchgefeiert. Nicht direkt.
    »Nein«, sage ich. »Ich hab nur nicht geschlafen.«
    Sofia zieht die Schultern hoch.
    »Wie auch immer«, antwortet sie angesäuert. »Und jetzt sieh zu, dass du draußen zu Potte kommst, ich mach gerade Salate. Torsten hat übrigens schon gefragt, wo du bleibst. Er ist oben. Wenn du hier fertig bist, sollst du zu ihm hochgehen.«
    Ich schaue auf die Uhr. Es ist zwanzig nach neun. Zwanzig nach. Wie Sofia sich anstellt, könnte man meinen, ich wäre ein oder zwei Tage verschollen gewesen. Mein Gott, ist die unlocker!
    Ein Rest einsames Herbstlicht fällt durch die kleinen Fenster, ansonsten ist es dunkel und still. Ich schalte die Deckenbeleuchtung ein und stelle die Musik provozierend laut, ehe ich anfange, die Stühle von den Tischen zu nehmen. Es dauert etwa drei Minuten, ehe Sofias Kopf in der Küchentür erscheint und sie faucht:
    »Stell das leiser!«
    Ist sie noch ganz dicht?
    Ich drehe die Lautstärke einen Hauch runter.
    »Mehr«, sagt sie. »Dabei kann man ja nicht denken.«
    Ach was.
    Das merkt man.
    Als alle Stühle von den Tischen sind, alle Teelichter in den Stövchen brennen, die Folie von den Kuchentellern genommen, die Espressomaschine angeworfen, die Sahne geschlagen und die erste Kanne Filterkaffee durchgelaufen ist, ist es immer noch nicht zehn, sondern zehn vor. Ich hätte nicht übel Lust, in die Küche zu laufen und triumphierend »HA, ICH HAB’S GESCHAFFT!« zu rufen. Was ich nicht tue, weil ich keinen Bock habe, auf so einen Scheiß Energie zu verschwenden. Mein Nacken ist

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