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Alles was ich sage ist wahr

Alles was ich sage ist wahr

Titel: Alles was ich sage ist wahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Bjaerbo
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sie da liegen zu sehen. Tot.
    »Ich will nicht mit«, sage ich noch einmal.
    Papa seufzt.
    »Aber vielleicht wäre das …«
    »Nein!«
    Er sieht mich besorgt an.
    »Du hast gesagt, ich darf selbst entscheiden«, sage ich gereizt.
    Er nickt.
    »Das sollst du auch. Ich möchte nur sicher sein, dass du dich hinterher nicht ärgerst. Dass du weißt, dass dies die letzte Gelegenheit ist, sie noch mal zu sehen. Und das kann sehr hilfreich für das Akzeptieren sein.« Er macht eine Pause. »Die sind dort ziemlich gut, die Verstorbenen ganz friedlich für die Angehörigen zurechtzumachen. Es kann schön sein, das als letztes Erinnerungsbild mitzunehmen.«
    Mir läuft es kalt über den Rücken. Wer sind »die«? Und was genau haben die mit meiner Oma angestellt, damit sie friedlich aussieht, obwohl sie eigentlich nur tot ist? Ich habe noch nie einen toten Menschen gesehen.
    Ich will absolut nicht daran denken, tue es aber trotzdem. Wie würde sie aussehen, wenn die sie nicht zurechtgemacht hätten? Wie weit von »friedlich« war sie im Augenblick des Todes entfernt?
    »Ich möchte sie lieber lebendig in Erinnerung behalten«, sage ich.
    * * *
    Zwei Tage nach Omas Blutpfropf gehe ich wieder zur Arbeit. Nicht, weil ich es will, sondern weil ich muss. Offensichtlich kann man nicht einfach freinehmen, bloß weil die Oma gestorben ist. In dem Punkt war Torsten sehr klar, als ich ihn vorgestern angerufen habe. »Es wäre was anderes, wenn deine Mutter oder dein Vater gestorben wären. Aber deine Großmutter? Alte Leute sterben am laufenden Band. Darauf können wir keine Rücksicht nehmen.«
    Ich könnte kotzen.
    Torsten hatte Glück, dass wir telefoniert haben, als er das gesagt hat, weil ich ihn dafür am liebsten gefoltert hätte. So richtig. Kriegsfilmfolter. Mir ist schon klar, dass das übertrieben ist, aber andererseits war das, was er gesagt hat, auch nicht in Ordnung. Es geht hier um meine Oma, nicht irgendeine x-beliebige, demente Alte, wie er offensichtlich denkt. Und sie stirbt nicht am laufenden Band! Sie ist einmal gestorben. Vorgestern.
    Vorgestern!
    Ellen steht in der Küche und belegt Baguettes mit Schinken und Käse, als ich komme. Als sie mich sieht, schmeißt sie fast den Käse weg und wirft sich mir um den Hals.
    »Alicia«, sagt sie, und ich merke, dass sie nicht genau weiß, ob sie weiterreden oder nichts mehr sagen soll, aber das macht nichts. Sie nimmt mich in den Arm. Das tut gut.
    »Wie geht es dir?«
    Ich ziehe die Schultern hoch.
    »Ich weiß nicht genau«, sage ich. »Es ist ganz merkwürdig.«
    Ellen nickt verständnisvoll.
    »Meine Oma ist letztes Jahr gestorben«, sagt sie. »Ich weiß genau, wie du dich fühlst.«
    Weißt du das?
    »Das ist so traurig!«, redet sie weiter. »Selbst wenn sie alt und krank sind und man weiß, dass sie jeden Moment sterben können, ist es in dem Moment, wenn es passiert, einfach nur furchtbar. Ich habe mindestens einen Tag lang nur geheult, als Oma gestorben ist, echt, der reinste Wasserfall.«
    Sie kommt richtig in Fahrt. Die Worte sprudeln mit beeindruckender Geschwindigkeit aus ihrem Mund.
    »Und die Beerdigung war noch trauriger. Beerdigungen sind echt abartig. Klar ist es auch feierlich, aber insgesamt ist das echt abartig. So verdammt endgültig, irgendwie. Ich hab mir in der Kirche fast die Augen aus dem Kopf geheult.«
    Sie verstummt.
    »Dabei hab ich meine Oma die letzten Jahre kaum noch gesehen«, sagt sie. »Sie war krank, hat in einem ziemlich ätzenden Pflegeheim gewohnt, du weißt schon. Aber du und deine Oma, ihr wart ziemlich dicke, oder?«
    Ich nicke.
    Ziemlich dicke?
    Es ist nicht ganz einfach, Oma in Verbindung mit so einem Ausdruck zu bringen, aber trotzdem, ich denke, man kann es so sagen.
    »Du Arme«, sagt Ellen. »Du bist bestimmt schrecklich traurig.«
    Ja, ich weiß, dass ich das sein müsste. Gebt mir einfach noch ein bisschen Zeit.
    Ich lasse Ellen mit den Baguettes in der Küche zurück und stelle mich an die Kasse. Verkaufe ein paar Kuchen. Setze Kaffee auf. Lächele die Kunden an. Versuche, mich zu erinnern, wie ich es vorher gemacht habe, und drücke die Copy-Taste. Wie ein Roboter. Es geht mir erstaunlich leicht von der Hand, solange viel los ist, weil ich keine Zeit zum Nachdenken habe. Aber dann ist der Mittagsrush vorbei und es wird ruhig an der Kasse, und sofort spüre ich wieder das Kribbeln unter der Haut, wie meine Gedanken sich wie ein Schlangennest in meinem Kopf verknoten.
    Und dann ertappe ich mich dabei, dass ich mir

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