Alles was ich sage ist wahr
einen Schluck Cola, um was zu tun. Es ist das erste Mal, dass Siri und ich uns außerhalb der Arbeit tref-fen, und irgendwie finde ich es da eine gute Geste, das zu trinken, was einem angeboten wird, auch wenn es scheiße schmeckt. Ich bin froh, hier zu sein. Siri ist in Ordnung. Es würde mich freuen, wenn meine überstürzte Kündigung im Café sie nicht auch mit einschließt, dass wir uns auch weiterhin treffen können.
»Ich muss rauchen«, sagt sie plötzlich und steht auf. Sie öffnet das Küchenfenster, setzt sich aufs Fensterbrett und zieht ein Zigarettenpäckchen und ein Feuerzeug aus der Tasche.
»Du auch?«
Ich schüttele den Kopf. Zigaretten finde ich noch ätzender als abgestandene Cola. Trotzdem steigert das Bild von ihr auf der Fensterbank meinen Neid in einer halben Sekunde um ungefähr dreitausend Prozent. Lordi Lord. Auf einer eigenen Fensterbank sitzen, seine eigenen Zigaretten rauchen und damit die eigenen Lungen zerstören, wenn einem danach ist. Ich stelle mir vor, was wohl passieren würde, wenn ich mich zu Hause vor Mamas Augen auf die Fensterbank hocken und mir eine Zigarette anzünden würde. Ein kribbelnder Gedanke.
»Du«, sagt Siri nach einer Pause. »Was hast du jetzt vor?«
Ich schneide eine Grimasse.
»Keinen blassen Schimmer«, sage ich. Dann fällt mir ein, dass ich zumindest einen festen Termin habe. »Zur Beerdigung gehen.«
Siri lächelt.
»Aber nicht jeden Tag, oder?«
»Nein, nur als Anfang«, sage ich. Ich ziehe die Beine auf den Stuhl. »Zuerst die Beerdigung und dann mein Leben in den Griff kriegen.«
Das klingt nach einem guten Plan, jedenfalls in meinen Ohren.
* * *
Als ich abends von Siri nach Hause komme, googele ich Beerdigungen. Es ist bizarr. Es gibt Communitys, in denen man mit anderen Beerdigungsinteressierten diskutieren und sich über die Musikwahl und Blumen und Dekoration und Särge und alles zwischen Himmel und Hölle austauschen kann, als wäre das eine Party. Ich klicke mich durch die Seiten, um mich irgendwie vorzubereiten.
Da kann einem echt schlecht werden.
In weniger als zwölf Stunden wird meine Oma begraben. Und ich sitze mit dem Laptop auf dem Schoß auf meinem Bett, und mir ist schlecht, weil sich das nun wirklich nicht nach Party anfühlt. Im Gegenteil. Muss man auf Beerdigungen gehen?
Ich logge mich bei Facebook ein, um mich abzulenken. Oben in der linken Ecke leuchtet eine kleine, rote Fahne. Eine neue Freundschaftsanfrage.
Isak Strandberg.
9 gemeinsame Freunde.
Bestätigen?
Ich sehe mir sein Profilbild an. Er steht auf einer einsamen Straße, die Hände in den Taschen, und guckt auf seine Schuhspitzen. Er sieht tiefsinnig aus, wahrscheinlich mit Absicht. Ziemlich albern, weil er so offensichtlich post. Hat er einen seiner Kumpel gebeten, das Foto zu machen? Schieß doch mal ein Foto von mir, wenn ich hier schon gerade auf dieser einsamen Straße stehe und tiefsinnig und unnahbar aussehe. Ich brauche ein cooles Profilbild. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob ich Respekt vor jemandem haben kann, der so was macht. Als ich das Bild anklicke, um es zu vergrößern, sehe ich, dass er den Boden anlächelt, und da kann ich mir ein Lächeln auch nicht mehr verkneifen.
Bestätigen.
Die meisten Leute werden Freunde auf Facebook, bevor sie Sex in der Besenkammer haben. Bei anderen ist es genau umgekehrt. So unterschiedlich kann das sein.
* * *
Als ich am nächsten Morgen aufwache, hab ich vergessen, was für ein Tag ist. So ist meine Einstellung zum Leben sicher eine Minute lang neutral, ehe die Erkenntnis kommt, und diese Minute ist richtig angenehm.
Alle folgenden Minuten: not so much.
Auf dem Stuhl neben dem Spiegel liegen die Klamotten, die ich rausgesucht habe. In der Todesanzeige in der Zeitung stand »Freie Kleiderwahl«. Aber nur, weil das in der Zeitung stand, gilt das noch lange nicht für alle, wenn man Mama glaubt.
»Wir gehen in die Kirche, Alicia. Also zieh dir was Anständiges an. Und was Dunkles! Keine Farbexplosion, sei so gut.«
Scheißtriste Vorgaben.
Und völlig bescheuert.
»Oma mochte keine dunklen Farben. Blau fand sie toll! Und Rosa!«
»Fang jetzt keinen Streit an, Alicia. Ich habe jetzt keine Kraft, zu streiten.« Mit diesem Argument kommt meine Mutter im Augenblick ziemlich weit.
Auf dem Stuhl liegt hellblaue Unterwäsche und ein altrosa Haarband, das ich mir um den Kopf binden will. Der Rest sind vier Nuancen Schwarz.
Ich stelle mich unter die Dusche und versuche, alles Unbehagen mit dem heißen Wasser
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