Alles was ich sage ist wahr
wegzuspülen.
Es klappt nicht.
* * *
Im Auto auf dem Weg zur Kirche fingere ich an dem Haarband und bin stinksauer.
Nur dass du’s weißt.
Das heißt nicht, dass ich akzeptiere, dass du weg bist.
* * *
Der Pastor ist eine Frau um die fünfzig. Sie hat eine kurze Pottdeckelfrisur und einen schlaffen Händedruck, den man kaum merkt. Ich hab sie noch nie gesehen, trotzdem sieht sie mich an, als wären wir Freunde.
»Willkommen«, sagt sie teilnahmsvoll und legt den Kopf schräg. Den Tonfall hat sie garantiert lange geübt. »Du musst Astrids Enkelin sein. Deine Großmutter war eine fantastische Frau, wirklich.«
Ich hasse sie.
Was weiß sie schon von meiner Großmutter? Sind sie sich je begegnet? Oma ist zwar ab und zu in die Kirche gegangen, aber sie hat nie was von einer Pastorin mit Pottdeckelfrisur erzählt. Trotzdem steht der Pottdeckel vor mir, legt den Kopf schräg und tut verständnisvoll, während sie Gesangbücher verteilt und friedvolle Stimmung verbreitet. Ich lasse mir ein Gesangbuch von ihr geben und gehe weg, ohne auf ihren Small Talk zu reagieren, obwohl ich Mamas missbilligenden Blick im Nacken spüre. Ich ertrage jetzt keine missbilligenden Mamablicke. Ich habe gerade andere Sorgen.
* * *
Setz dich grade hin, Mädchen.
Ich sitz grade!
Nein, du sitzt da wie ein Strohsack. Streck dich.
Kannst du mal aufhören zu nerven?
Nein. Es wird auch nicht besser, wenn du schmollst, weißt du.
Nicht?
* * *
»Hier müssen wir rein.«
Mama dreht den kleinen Holzklotz, der die Türen zu den Bankreihen geschlossen hält, und schiebt uns hintereinander hinein. Offenbar sollen wir ganz vorne rechts sitzen. Da gibt es wohl irgendeine Regel. Die nächsten Angehörigen im Pulk hier, der Rest der Bande in den übrigen Bankreihen. Ich weiß nicht, wieso mich das provoziert, aber das tut es. Darf man nicht selber entscheiden, wo man sitzen will? Was spielt das für eine Rolle?
Die Holzbank ist steinhart.
Ich starre auf den Sarg vorne in der Mitte. Er ist schwarz. Es liegen Blumensträuße und Kränze darauf, alles steif arrangiert mit glänzenden Bändern drum. Hässlich. Liegt da unter all den Blumen wirklich meine Oma? Tot? Ich habe echte Schwierigkeiten, mir das vorzustellen.
»Alicia?«
Olle stupst mich von der Seite an und flüstert, obwohl die Zeremonie vorne schon im Gange ist. Wir sind immer noch ganz allein in der Kirche. Er hat die Stirn in besorgte Falten gelegt.
»Warum ist der Deckel zu?«, fragt er und zeigt auf den Sarg. »Ist das nicht zu eng für Oma?«
Olle, ich liebe dich! Sein dunkelblaues Hemd ist bis unters Kinn zugeknöpft und er sitzt kerzengerade und mit zitternder Unterlippe neben mir auf der Holzbank. Er hält ein Legoflugzeug in der Hand, das er für Oma gebastelt hat. Damit sie sich nicht langweilt in ihrem Sarg.
Ich lege meinen Arm um ihn und drücke ihn ganz fest an mich.
»Weißt du«, sage ich, »ich glaube nicht, dass sie das stört.« Olle sieht mich fragend an.
»Glaubst du nicht?«
»Nein. Ich glaube, sie merkt das nicht mal. Ein bisschen so, wie wenn ich morgens noch schlafe und du versuchst, mich zu wecken.«
»Wenn du so müde bist, dass du kaum noch merkst, wenn ich dich unter den Füßen kitzele?«
»Ja, ungefähr so.«
Olles Stirn glättet sich.
»Okay«, sagt er nachdenklich. »Dann ist es nicht so schlimm. Aber nachher machen wir den Deckel wieder auf, oder, wenn sie wach ist?«
Ich streichele über sein wassergekämmtes Haar.
»Mal sehen«, sage ich.
* * *
An der Wand hinter Omas Sarg hängt Jesus am Kreuz. Durch seine Hände sind Nägel geschlagen und seine Handflächen sind mit roter Farbe bemalt. Ich kann meinen Blick nicht von ihm losreißen. Wie weh das tun muss, so einen dicken Nagel durch die Hand geschlagen zu bekommen! Wie das wohl klingt? Knirschend … irgendwie? Ich betaste meine eigene Hand. Da sind unendlich viele Knochen, Sehnen und Muskelstränge. Um da einen Nagel durchzuhämmern, musste man wahrscheinlich einige Male mit einem reellen Hammer zuschlagen. Ohne zu zögern. Hart. Ich bin ziemlich sicher, dass es knirscht.
* * *
Der Pottdeckel leiert irgendwas vor sich hin, ich hör schon lange nicht mehr zu. Es klingt, als würde sie was vorlesen. Aus der Bibel, nehme ich an. Wir haben eine kurze Videozusammenfassung über die Zeremonie bekommen, die ich mir mindestens fünftausend Mal reingezogen habe, und danach wären wir jetzt ungefähr halb durch. Der schlimmste Teil steht uns noch bevor. Wenn man vor zum Sarg geht, um sich
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