Alles was ich sage ist wahr
Bett.
»Ich weiß irgendwie immer noch nicht, wie’s geht.«
Sie streichelt mir übers Haar.
»Das kommt schon noch«, sagt sie tröstend.
»Glaubst du?«
* * *
Oma wollte verbrannt werden, nicht begraben. Und sie wollte, dass ihre Asche anonym auf einem dafür vorgesehenen Teil des Friedhofs verstreut wird, keine Urne unter einem Grabstein, zu dem dann eh niemand kommt. Und es sollten um Himmels willen keine langweiligen Kirchenlieder gesungen werden, in denen zu viel Gott vorkam. Sie hat sich »Im Himmel, im Himmel« gewünscht und »Einer, den du kennst, ist dein bester Freund«. Der Rest war ihr egal.
»Woher weißt du das alles, Mama?«
»Sie hat vor vielen Jahren mit mir darüber gesprochen.«
»Dann hat sie die ganze Zeit gewusst, dass sie sterben würde?«
Ich klinge wie ein trotziges Kind.
»Sonst war sie doch auch immer für eine Überraschung gut!«
* * *
Zumindest bleibt einem die Zeremonie erspart, dass der Sarg in der Erde versenkt wird, wenn jemand verbrannt wird. Man lässt einfach den geschlossenen Sarg in der Kirche zurück, nachdem man seine Blume oder sein Legoflugzeug abgelegt hat, und geht. Um den Rest kümmert sich dann jemand anders. Das Verbrennen. Und Verstreuen der Asche. Ich weiß nicht so genau, was ich davon halte. Ob ich froh bin, nicht wie im Film am offenen Grab zu stehen und Erde auf den Sarg zu werfen? Vielleicht, ein bisschen. Aber mir ist das alles trotzdem viel zu konkret. Ich will mir Omas zarten Vogelkörper nicht in dem schwarzen Sarg vorstellen, der wie ein Blech mit Keksen in irgendeinen Ofen geschoben wird und verbrennt. Und dass am Ende nur noch ein kleines Häufchen Asche von ihr übrig bleibt. Woher weiß ich, wo auf dem Gedenkplatz die Asche landet? An welches Grasbüschel ich mich wenden kann, wenn ich sie später mal besuche? Das rechts von der Bank oder das geradeaus?
An keins dieser Dinge will ich denken. Trotzdem schwirren sie noch lange nach der Trauerfeier in meinem Kopf herum, als alle Verwandten wieder weg sind und Fanny nach Hause gegangen ist.
Meine Oma ist jetzt ein Häuflein Asche.
Das tut weh, überall.
* * *
Als ich an diesem Abend in der Badewanne liege, ruft Isak an. Ich weiß nicht, was erstaunlicher ist: dass ich in der Badewanne liege oder dass Isak anruft.
Ich bade so gut wie nie. Das ist mir viel zu langweilig, spätestens nach fünf Sekunden werde ich unruhig. Solange das Wasser einläuft und der Badeschaum wächst, ist es okay, aber danach denke ich meistens, aha, schön, hier liege ich und kriege Schrumpelfinger, interessant, wirklich. Außerdem hat das Wasser nie die richtige Temperatur. Entweder wird man gegart, weil es zu heiß ist, oder man friert, weil man mit dem warmen Wasser gegeizt hat. Völlig bekloppt. Trotzdem liege ich also in der Wanne, als Isak anruft. Nach dem Motto: anstrengender Tag, große Gefühle, verkrampfte Schultern. Was ich brauche, ist ein ausgiebiges, schönes, duftendes Bad. Um mich zu sammeln. Das versteht jeder.
Mir fällt fast das Handy ins Wasser, als ich seine Stimme höre. Woher hat er meine Telefonnummer?
»Ich habe Siri gefragt«, sagt er. »Ich muss mit dir reden, aber im Café warst du nicht.«
Nee, war ich nicht.
Ich war in der Kirche.
»Es ist aus zwischen Anna und mir«, sagt Isak als Nächstes. Er klingt ganz ruhig.
Ich presse das Handy fest an mein nasses Ohr, damit es mir nicht aus der Hand rutscht und im Badeschaum verschwindet. Anna? Heißt sie so? Aschenputtel? Ich atme vorsichtig und versuche, die Information in kleinen Dosen zu verdauen, um damit umzugehen.
»Oh«, sage ich schließlich.
Ich weiß nicht, ob das die Reaktion ist, die Isak erhofft hat, aber es ist jedenfalls das, was ich denke. Oh! Und dann, gleich danach: Aber warum? Ich fröstele, trotz brühheißem Badewasser. Oh Gott! Er hat doch wohl nicht meinetwegen mit seinem Aschenputtel Schluss gemacht? Bei dem Gedanken noppt sich die Haut auf meinen Armen zu einer Gänsehaut.
»Ich konnte sie nicht anlügen«, sagt Isak. »Also habe ich ihr erzählt, was zwischen dir und mir passiert ist.«
Oh Lord.
»Sie war nicht gerade begeistert«, sagt er, und als von mir keine Reaktion kommt: »Sie war sogar sehr traurig.«
Ich schüttele den Kopf, was er natürlich nicht sehen kann. Sie war nicht sehr begeistert? Wie merkwürdig!
»Darum ist jetzt Schluss zwischen uns.«
Isak verstummt.
Ich nehme an, jetzt wäre ich an der Reihe, was zu sagen, aber das tue ich nicht, ich weiß nicht, was ich sagen soll. Ich raffe
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