Alles, was ich will, bist du
ganze Hotel … es ist alles ein bisschen furchteinflößend. Ich gehöre nicht hierher.“
Für einen Moment blieb Rocco ganz still. „Das ist Unsinn“, sagte er schließlich. „Wovon redest du?“
Sie schaute ihn an. Als sie seine gerunzelten Brauen sah, wandte sie den Blick wieder ab. „Es ist, als sollte ich nicht hier sein. Als ich neun war, haben unsere Pflegeeltern mit Steven und mir einen Ausflug zu einem Schloss gemacht. Wir mussten von London aus mit dem Zug fahren.“ Sie lächelte bei der Erinnerung. „Das alte Herrenhaus hatte riesige Räume – so wunderschön, voller Antiquitäten und Gemälde. Irgendwann habe ich mich verlaufen. Unsere Gruppe war schon weitergangen, und ich konnte sie nicht mehr finden. Bei der Suche bin ich in einem Raum voller winziger Porzellanpuppen gelandet.“ Sie schnitt eine Grimasse. „Offenbar sammelten die Besitzer diese Puppen. Ich war fasziniert und habe eine in die Hand genommen, um sie näher anzuschauen. Plötzlich hat mir jemand von hinten eine Hand auf die Schulter gelegt. Vor Schreck bin ich in die Luft gesprungen und habe die Puppe auf den Boden fallen lassen. Ich wollte sie aufheben, aber die Frau vor mir hat mich angeschrien, was ich dort zu suchen hätte, ich wäre ein gewöhnlicher Dieb, und ich sollte mich raus scheren.“
Gracie zitterte bei der Erinnerung. „Ich hatte so furchtbare Angst, dass ich nur gerannt und gerannt bin, bis ich schließlich meine Gruppe wiedergefunden habe. Und hier … ich warte ständig darauf, dass mir jemand eine Hand auf die Schulter legt.“
Sie brach ab und spürte, wie ihre Wangen heiß wurden. Wieso um alles in der Welt hatte sie Rocco diese alte Geschichte erzählt? Er sah sie schweigend an. Die Dunkelheit verbarg sein Gesicht.
Gracie zuckte noch einmal mit den Schultern. „Nicht nur hier, auch auf dem Empfang, habe ich die ganze Zeit damit gerechnet, dass jemand auf mich zu kommt und fragt, was ich hier will.“
„Du hast genauso das gleiche Recht hier zu sein, wie jeder andere auch“, antwortete Rocco rau.
Gracie lächelte schmal. „Nein, eigentlich nicht. Aber lieb, dass du das sagst.“
Er stand auf und reichte ihr eine Hand. Sie erhob sich ebenfalls und wollte gerade seine Hand nehmen, dann hielt sie plötzlich inne. Er sah so verschlossen aus, aber sie wollte, dass er sie verstand. „Warte, ich muss dir noch etwas erzählen.“
Rocco ließ die Hand sinken und presste die Kiefer zusammen. „Gracie, es ist wirklich nicht nötig, dass du mir diese ganzen Geschichten erzählst.“
Sein deutliches Widerstreben verstärkte ihren Wunsch nur noch. „Das sind keine Geschichten. Und ja, ich muss sie dir erzählen.“ Bevor er widersprechen konnte, fuhr sie fort: „Steven … mein Bruder … wir sind Zwillinge.“ Sie verzog ihren Mund. „Offensichtlich keine eineiigen. Ich bin zwanzig Minuten älter – er wäre bei der Geburt fast gestorben. Als Kind war er immer klein und schmächtig, und er hatte eine dicke Brille. Ich habe mir angewöhnt, ihn vor brutalen Jungen zu beschützen. Er hat nie gelernt, mit so etwas umzugehen.“ Sie befeuchtete ihre Lippen und schüttelte den Kopf. „Er war viel zu klug, zu ruhig. Das klassische Opfer. Nach allem, was er getan hat, ist es vielleicht schwer zu glauben, aber er hat dieses Leben nie gewollt … in einer Gang zu sein, mit Drogen zu dealen.“
„Und warum hat er es dann getan?“, fragte Rocco spöttisch.
Gracie zuckte zusammen, aber sie gab nicht nach. „Sie haben ihn niedergeschlagen.“ Ihre Stimme klang erstickt. „Im wahrsten Sinne des Wortes. Eines Tages wurde er so brutal zusammengeschlagen, dass er fast im Krankenhaus gelandet wäre. Sie haben ihn gebrochen. Es war einfacher für ihn, nachzugeben, als noch länger zu kämpfen. Obwohl ich alles versucht habe, um ihn aufzuhalten. Wir waren gerade mal vierzehn Jahre alt. Mit Alkohol haben sie angefangen. In wenigen Monaten war er abhängig, bald danach kamen die Drogen. Er hat die Schule abgebrochen. Aufgegeben.“
„Und selbst jetzt verteidigst du ihn noch?“ Wieder hatte seine Stimme diesen höhnischen Klang.
Gracie sah ihn an. Wie konnte sie ihm nur erklären, wie tief sie und Steven verbunden waren? Sie nickte langsam. „Ja. Ich verteidige ihn. Damit werde ich niemals aufhören. Genau, wie er mich verteidigt hat.“
Rocco runzelte die Stirn. Seine Ungeduld war nicht zu übersehen. „Was meinst du damit? Wovor hat er dich verteidigt?“
Gracie wusste, dass ihre Worte nichts ändern
Weitere Kostenlose Bücher