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Alles, was ist: Roman (German Edition)

Alles, was ist: Roman (German Edition)

Titel: Alles, was ist: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Salter
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hergesetzt.«
    »Bobby und ich waren zusammen auf der Prep School«, sagte Beckerman. »Wir waren die einzigen beiden Juden in der Klasse. Ich glaub sogar an der ganzen Schule.«
    Er hatte ein gewinnendes Lächeln.
    »Warst du mal auf einem der Klassentreffen?«, fragte er Baum. »Ich war mal vor sieben oder acht Jahren da. Soll ich dir was sagen? Es hat sich nichts geändert. Es war grässlich, sie alle wieder zu sehen. Ich bin nur den einen Abend geblieben.«
    »Hast du DeCamp wiedergesehen?«
    Er war ein Schulkamerad, ein Rebell, den Baum sehr gemocht hatte.
    »Nein. Den hab ich nicht gesehen. Er war nicht da. Ich weiß gar nicht, was aus ihm geworden ist. Hast du mal was von ihm gehört?«
    Während sie sprachen, sagte seine Frau zu Bowman:
    »Kennen Sie Donnal schon lange?«
    »Nein, nicht lange.«
    »Ah, verstehe.«
    Sie war Beckermans zweite Frau. Sie waren etwas mehr als zwei Jahre verheiratet. Sie wohnten in seinem großen Eckapartment in einem exklusiven Gebäude in der Nähe der Armory . Monique hatte es eingerichtet. Sie hatte viele der Möbel seiner früheren Frau auf die Straße gestellt und das Geschirr entsorgt.
    »Ich hab alles weggeworfen«, sagte sie.
    »Es war ’ne Menge Geschirr«, bemerkte Beckerman. »Wir hatten einen koscheren Haushalt.«
    »Ich bin nicht koscher«, sagte Monique.
    Sie kam aus Algerien. Ihre Familie waren französische Kolonialisten, Pieds-noirs, und als die Unruhen anfingen, waren sie nach Frankreich zurückgekehrt. Sie wurde Journalistin. Sie arbeitete für ein rechtes, katholisches Blatt, mit der Politik hatte sie aber nichts zu tun, sie schrieb Bücher- und Theaterkritiken, manchmal interviewte sie auch einen Schriftsteller. Beckerman lernte sie über Freunde kennen.
    Während sie beisammensaßen, wurde Bowman immer bewusster, dass er nicht dazugehörte, dass er ein Außenseiter war. Sie waren ein Volk, sie erkannten und verstanden einander, sogar als Fremde. Sie trugen es in ihrem Blut, etwas, das man nicht lernen konnte. Sie hatten die Bibel geschrieben mit allem, was daraus hervorging, das Christentum, die ersten Heiligen, und doch war da etwas an ihnen, das Hass auf sich zog, weswegen sie geschmäht wurden, vielleicht waren es ihre alten Bräuche, ihre Kenntnisse in Gelddingen, ihre Achtung vor der Gerechtigkeit – und sie brauchten sie. Das unvorstellbare Morden in Europa war wie eine Sense durch ihr Volk gefahren – Gott hatte sie verlassen –, aber in Amerika wurde ihnen kein Schaden zugefügt. Er beneidete sie. Es war nicht mehr ihr Aussehen, das sie unterschied. Sie waren selbstbewusst, mit klaren Gesichtern.
    Baum war nicht religiös, und er glaubte an keinen Gott, der einen aufgrund eines unbekannten Plans tötete oder leben ließ, unabhängig davon, ob man gut war oder fromm oder nutzlos für die Welt. Gut zu sein hatte keine Bedeutung für Gott. Obwohl es das Gute geben musste. Die Welt wäre sonst ein Chaos. Es war der Grund, warum er lebte, wie er lebte, und er dachte nur selten darüber nach. In seinem tiefsten Innern aber akzeptierte er, dass er zu seinem Volk gehörte. Und der Gott, an den sie glaubten, wäre immer auch der seine.
    »Sind Sie manchmal in Frankreich?«, fragte Monique.
    »Nicht sehr oft«, sagte Bowman.
    Sie hatte einen leicht groben Teint, wie er bemerkte, und sie war nicht wirklich schön, aber sie war die, die man sich heraussuchen würde. Sie könnte eine ehemalige Geliebte Sartres sein, dachte er nebenbei, obwohl er nicht wusste, wie die waren. Sartre war klein und hässlich und traf sehr freie Arrangements, was sie, wie er glaubte, verstehen würde.
    Er beschloss zu sagen:
    »Vermissen Sie das Leben in Frankreich?«
    »Ja, natürlich.«
    »Welche Dinge vermissen Sie?«
    »Hier ist das Leben einfacher«, sagte sie. »Im Sommer fahren wir aber nach Frankreich.«
    »Wohin fahren Sie?«
    »Nach Saint-Jean-de-Luz.«
    »Das hört sich schön an. Haben Sie dort ein Haus?«
    »Ja, ganz in der Nähe«, sagte sie. »Sie müssen uns mal besuchen kommen.«
    Sie waren nicht länger Frauen vom osteuropäischen Schlag, sich abplackende Weiber und Mütter. Sie waren glamourös und schlau, wie im Wien des neunzehnten Jahrhunderts, ein ganz neues Kaliber Frau, New York war bekannt für sie. Niemand nannte sie mehr Jüdinnen. Das Wort ließ an Rabbiner und fromme, rückständige Dörfer im Hinterland denken. Sie hatten Stil, waren ehrgeizig, im Zentrum des Geschehens. Voller Anmut. Er war nie mit einer zusammen gewesen. Ihr Leben hatte Wärme, sie

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