Alles, was ist: Roman (German Edition)
halb acht machten sich auch die meisten anderen langsam auf den Weg. Anet wollte ihre Sachen holen.
»Nein, geh noch nicht«, sagte Bowman. »Wir konnten noch gar nicht richtig reden. Setz dich. Ich stell nur kurz den Fernseher an. Am Ende der Nachrichten kommt etwas über einen meiner Autoren.«
Es seien nur ein paar Minuten. Er stellte den Ton aus und dachte, als sie so nebeneinandersaßen, unweigerlich an ihre Mutter. Er erinnerte sich an die stumme Bilderfolge auf dem Fernsehschirm, wie Sprünge in der Wirklichkeit, das Gesicht der Schauspielerin, die flehend die Arme hob und dann ihren Mantel aufriss, herausfordernd, und sich ergab.
»Weißt du, ich hab dir nie sagen können, wie leid es mir tut, was damals passiert ist«, sagte Anet. »Ich meine die Sache mit meiner Mutter und dem Haus. Ich weiß natürlich nicht genau, was passiert ist.«
»Das ist nicht so wichtig.«
»Du hasst sie also nicht?«
»Nein, nein«, sagte er leichthin.
Er saß jetzt neben ihrer Tochter, der er immer versucht hatte, nicht zu viel Aufmerksamkeit oder falsche Zuneigung zu schenken. Jetzt konnte er sie frei betrachten.
»Wer ist das?«, fragte sie.
Es war ein Gemälde auf dem Schutzumschlag einer Monografie über Picasso, das auf dem Kaffeetisch lag, ein zergliedertes Porträt aus Augen und einem deplatzierten Mund.
»Marie-Thérèse Walter«, sagte er.
»Wer ist Marie-Thérèse Walter?«
»Ein sehr bekanntes Modell von Picasso. Er lernte sie kennen, als sie siebzehn war. Er sah sie vor einer Metrostation und gab ihr seine Karte. Er malte sie und verliebte sich in sie. Sie hatten ein Kind. Picasso war viel älter als sie – ich lasse hier einiges aus –, aber als er starb, nahm sie sich das Leben.«
»Wie alt war sie da?«
»Oh, sie muss über sechzig gewesen sein. Ich glaube, sie wurde ungefähr 1910 geboren. Picasso 1881. Ich hab das erst kürzlich wieder gelesen.«
»Weißt du, wie Sophie dich früher genannt hat? Erinnerst du dich an Sophie? Sie sagte immer der Professor.«
»Wirklich? Was macht Sophie?«
»Sie ist an der Duke.«
»Weißt du, was ich Sophie mal sagen sollte?«
»Was?«
»Ach, eigentlich muss ich ihr gar nichts sagen. Hör mal, wollen wir noch was machen?«, sagte er. »Wart eine Minute.«
Er ging in die Küche. Sie hörte, wie die Kühlschranktür auf- und wieder zuging. Er kam zurück, er hatte etwas in der Hand, ein kleines, gefaltetes Stück weißes Papier. Er legte es auf den Tisch und faltete es auseinander. Es war ein Päckchen aus Stanniolpapier darin. Sie beobachtete, wie er die Folie öffnete, darin war eine Art dunkler Klumpen, ein wenig wie feuchter Tabak.
»Was ist das?«
»Hasch.«
Der Moment war wie bei einem Tanz, kurz bevor man zum ersten Mal die Hand seines Partners nimmt, und man weiß, ohne ihn zu berühren, ob er oder sie tanzen kann und was folgen wird.
»Wo hast du das her?«, fragte sie ruhig.
»Von Tony. Dem großen Typen aus England. Er hat es mir gegeben. Es ist aus Marokko. Wollen wir was probieren? Man nimmt die kleine weiße Pfeife hier dafür.«
Er drückte vorsichtig etwas von dem braunen Klumpen in die Pfeifenschale.
»Machst du das oft?«
»Nein«, sagte er. »Nie.«
»Drück es nicht zu fest. Du hättest sagen sollen, dass du das ständig rauchst.«
»Du hättest mich sofort durchschaut«, sagte er.
Er zündete ein Streichholz an, hielt es nah an die Pfeifenöffnung und zog. Nichts passierte. Er zündete noch ein Streichholz an, und nach ein paar Versuchen kam etwas Rauch. Er inhalierte und musste husten, dann reichte er ihr die Pfeife weiter. Sie zog daran und gab sie wieder zurück. Sie zogen abwechselnd, ohne zu sprechen. Nach ein paar Minuten waren sie high. Er fühlte eine ungemeine Behaglichkeit, fast ein Gefühl der Schwebe. Er hatte ab und zu etwas Gras geraucht, nicht sehr oft, manchmal auf einer Dinnerparty oder anschließend in der Bibliothek mit der Gastgeberin und dem einen oder anderen Gast. Er erinnerte sich an eine schwindelerregende Nacht in dem Apartment einer frisch geschiedenen Frau, er hatte nach dem Badezimmer gefragt, und sie führte ihn durch eine Reihe von Zimmern in ihr eigenes, ihr privates Badezimmer und drehte das Licht an, und er stand in einem hell erleuchteten Palast aus Spiegeln, Fläschchen und Cremes. Auf dem Boden lagen halb übereinander Handtücher ausgebreitet.
»Soll ich dich allein lassen?«, hatte sie gesagt.
»Nur einen Moment«, gelang es ihm zu sagen.
»Bist du sicher?«
Ein andermal hatte er ein
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