Alles - worum es geht (German Edition)
und doch auch etwas, das da ist, genau wie ich, und ich weiß, dass ich niemals erzählen kann, was passiert ist, denn dann wird mir mein Vater eine kleben und sagen, ich hätte sagen sollen, dass ich Dänin bin, und ich kann nicht ertragen, ihm zu erklären, dass das nicht die Bohne geholfen hätte, denn obwohl ich in fließendem Greve-Dänisch »Verdammte Scheiße, ich bin Dänin!« rufen kann, hätten sie mich nur noch mehr ausgelacht, und ich weiß, das würde meinem Vater das Herz brechen, und meine Mutter wäre erst recht böse auf ihn, weil er sie in ein Land mitgenommen hat, wo man nicht Guten Morgen sagt, wenn man in den Bus steigt, und wo man keine Söhne bekommen konnte, die es im Leben weit bringen und einen hoch über Tante Katharina erheben, in einem Haus, das größer wäre als ihres und Platz für mehr Autos in der Garage hätte, in einer Gegend mit richtigen Bergen, auf denen man Ski fahren konnte, statt dieser armseligen kleinen Buckel in dieser Legolandschaft, die die Leute hier Himmelsberge nennen!
Ich weiß, dass ich niemandem von dem Netz über der Voliere, das ich nicht von außen, sondern von innen aufgerissen habe, erzählen kann.
Ich weiß, wenn ich sage, was die anderen getan haben, werden die sagen, das war nur zum Spaß, und dass sie den Käfig sofort wieder aufgemacht hätten, auch wenn das nicht wahr ist. Und ich weiß nicht, wie ich erklären soll, warum ich mich, statt laut zu jammern, bis irgendwelche Lehrer gekommen wären und mich herausgelassen hätten, einfach ganz still in einer Ecke zwischen den Säcken mit Vogelfutter zusammenkauerte, bis alle nach Hause gegangen waren, denn es war Freitagnachmittag. Ich saß da sogar noch, als ich dringend nach Hause gemusst hätte, die Abendessenszeit war schon vorbei, und freitags sind meine Eltern immer lange in Maria Wörth in Greve , und meine großen Schwestern waren irgendwo in Jütland auf der Kosmetikschule, und ich hätte also eigentlich zu Hause auf Therese aufpassen sollen, aber ich wusste, dass sie einfach zu Mutter und Vater ins Geschäft gehen würde, und ich blieb sitzen, bis es so spät war, dass ich wusste, niemand würde mich sehen. Da ließ ich dann die Weißkehlammer Ammer sein und riss das Netz über mir weit auf, kletterte hinaus und rannte den ganzen Weg nach Hause.
Aus der Blechdose in der Kommodenschublade nahm ich den Extraschlüssel zum Laden, steckte ihn in die Hosentasche, ehe ich mich angezogen ins Bett legte. Als meine Eltern nach Hause kamen, sagte ich zu meinem Vater, ich hätte mich früh hingelegt, weil es mir nicht so gut ging, wozu er nichts sagte, weil sie selbst müde waren, und dann gingen sie auch zu Bett, und ich schlich wieder hinaus und rannte den ganzen Weg bis zum Geschäft, wo ich auf Anhieb die Knochensäge fand und die Geflügelschere und die großen metallenen Suppenlöffel, und das war alles, was ich brauchte.
Die Drahtnetze gaben unter der Schere gleich nach, für die Blumen brauchte ich keine Hilfe, die Suppenlöffel waren für die Reihen von Kartoffeln und Mohrrüben, die sich noch nicht von oben herausziehen ließen. Und eine Säge, die an Kadaverknochen gewohnt war, wurde mit Ästen vom Apfelbaum spielend fertig.
Die Schilder habe ich begraben.
Wo, das werde ich niemals erzählen.
Aber ich grub sehr tief. Während Kaninchen und Goldhamster herumhoppelten, die Hühner gackerten und in der aufgegrabenen Erde nach Würmern pickten und die Schildkröten sich langsam auf ihre Wanderung ins Unbekannte machten, grub ich. Die Zwergziegen kauten die Blumen, Pony Isfahan fraß die unreifen Äpfel von den Zweigen, und die Lamas hielten kurz inne, ehe sie ihre neu gewonnene Freiheit nutzten und losrannten, über den Schulhof und die Straße hinunter, im Passgang, wie ich hörte, denn ich sah ihnen nicht nach, sondern grub, und erst als ich ganz sicher war, dass das Loch groß genug war, hörte ich auf zu graben und sah auf und nahm das Blumenfest in Augenschein. Ging dann direkt hinüber und zerrte und schnitt ohne Zögern ein Schild nach dem anderen aus dem Drahtnetz um die Käfige, die Schilder, für die alle Klassen lange gebraucht hatten, manche aus Holz mit eingebrannten Buchstaben, andere aus Metall mit eingehämmerten Wörtern, und wieder andere aus Ton gebrannt oder in Stein gemeißelt: Afrikanische Zwergziege (Capra hircus), Sibirisches Kaninchen (Oryctolagus cuniculus), Weißkehlammer (Zonothrichia albicollis), Burmesisches Bambushuhn (Bambusicola fytchii), Syrischer Goldhamster
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