Alles - worum es geht (German Edition)
Miene, als hätte ich verstanden, und alles andere konnte auch egal sein.
Die Blume stand doch, wo sie stand, genau wie ich. Ob das nun eine Anemone oder eine Butterblume war, welchen Unterschied machte das schon, die sah doch so aus, wie sie aussah, und war, was sie war, egal, wie man sie nannte.
Meine Eltern konnten nicht mit uns Ferien machen, denn wer sollte sich dann um den Laden kümmern? Sie hatten das ganze Jahr über geöffnet, denn die Dänen sollten Würste und Leberkäse und Semmeln und alles das haben, was wir zu Hause aßen, was die Dänen aber nicht kannten, außer, sie kamen zu uns in den Laden. Meine kleine Schwester Therese nahmen meine Eltern einfach immer mit ins Geschäft, und vielleicht ist sie deshalb die Einzige von uns, die gern dort ist. Ina und Maria finden, es riecht da komisch, sie wollen alle beide Kosmetikerinnen werden und mit Schönheit und schönen Düften arbeiten. Ich bin Mic, und ich fühle mich fremd, ob ich nun ins Geschäft reingehe oder wieder herauskomme. Hier in Dänemark isst niemand so etwas, es sei denn, sie probieren mal etwas, was sie normalerweise nicht essen, und das tun sie meistens, wenn sie auf Reisen sind, sodass vor allem Familien wie meine die Waren kaufen, und dann und wann einmal Dänen, die im Ausland Geschmack an den Spezialitäten gefunden hatten, wie sie in Maria Wörth in der Schlachterei hergestellt werden, in der mein Großvater damals arbeitete und wo mein Onkel auch hätte arbeiten sollen, wenn nicht der Krieg gekommen wäre, weswegen er Soldat wurde und fiel, und als der Krieg zu Ende war, war meine Mutter elf und so dünn, dass das Rote Kreuz sie nach Dänemark schickte, wo sie meinem Vater begegnete, der auch so dünn und nach Dänemark geschickt worden war, und sie kannten sich vorher nicht, obwohl sie dieselbe Sprache sprachen, nur mit unterschiedlichem Akzent, denn mein Vater kam von der anderen Seite der Grenze aus einer Stadt, von der mein Vater niemals spricht und an deren Namen ich mich nicht mehr genau erinnere, die liegt auch dort, wo heute Ostdeutschland ist, was man nicht besuchen kann, jedenfalls wurde sie in Schutt und Asche gebombt mitsamt dem Rest seiner Familie, und mein Vater hat nur überlebt, weil er klein war und zu zwei Tanten geschickt worden war, die ihn etwas später zu anderen Tanten auf der österreichischen Seite der Grenze schickten, damals waren alle Männer tot, deshalb gab es nur Tanten, so war es auch in anderen Familien. Ja, dann war das Rote Kreuz gekommen, und meine Mutter und mein Vater waren jeder für sich mit dem Güterzug nach Norden in die reichen Länder verschickt worden und lernten sich auf Seeland kennen in der Nähe eines Ortes, der Næstved heißt, wo sie auch zu essen bekamen, und da beschlossen sie, dass sie, wenn sie erwachsen wären, wieder nach Dänemark gehen und heiraten und eine Schlachterei eröffnen würden, und das taten sie dann auch.
Mit der Zeit sind die Würste, die im Geschäft verkauft werden, immer weniger österreichisch, denn man muss mit der Zeit und der Nachfrage gehen, sagt mein Vater. Und wenn meine Mutter stumm wird, weil sie den Geschmack von Thymian in den Würsten vermisst, macht mein Vater extra welche mit Thymian für sie, und beide sind ein paar Tage lang froh.
Ich finde ja, man kann weder hier noch da eine Schlachterei haben, die Maria Wörth in Greve heißt, wenn dort die Würste nicht mehr an etwas erinnern, was man weder in Maria Wörth noch in Greve bekommen kann. Das habe ich einmal laut gesagt, und das war das einzige Mal, an das ich mich erinnere, wo mir mein Vater eine Ohrfeige gegeben hat, und seltsamerweise schien er mich vor allem geschlagen zu haben, weil meine Mutter es gehört hatte. Aber ich hütete mich, den Satz zu wiederholen, auch wenn er wahr ist.
So als würde man eine rote und eine gelbe Blume kreuzen, zum Beispiel die, die ihr Anemone nennt, mit einer Butterblume, was hat man dann? Doch nichts, oder?
Eine Buttermone oder eine Aneblume?
Das ergibt keinen Sinn!
Nein, genau wie die Vögel erkenne ich die Blumen auch ohne Namen wieder.
Übrigens stimmt es nicht, mein Vater hat mich noch einmal geschlagen, fällt mir jetzt ein. Das war, als mich jemand Fremdarbeiter genannt hat. Wir in meiner Familie haben dunklere Haut als die meisten Dänen, dunklere Haare und Augen. Nicht auf diese südländische oder arabische Weise. Mehr auf so eine eher kastanienbraune Weise, wie es sie in den Alpen gibt. Das verwirrt die Leute. Wir sind fremd und doch
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