Alles - worum es geht (German Edition)
nicht. Am allergrößten ist das Glück, wenn Alles die Zeit stillstehen lässt, während die Welt, die aus meinen Fingern strömt, immer größer wird.
Fünf Tage. Irakanhörung und ein Brief von der Bank. Ich öffne ihn nicht, es ist nicht nötig. Es spielt keine Rolle. Ich bin durch. Zum hundertzwanzigsten Mal, und Alles wird nur schlechter, wenn ich noch etwas ändere.
Ob das stimmt oder nicht, weiß ich nicht. Aber jetzt ist es Alles, was ich geschrieben habe.
Nachwort
Die Geschichten in dieser Sammlung sind im Laufe vieler Jahre entstanden. Etwa die Hälfte erschien bereits in verschiedenen dänischen Anthologien, Warum außerdem in einem französischen Magazin. Drei der Geschichten sind ganz neu. Einige richteten sich ursprünglich an erwachsene Leser, während andere von Anfang an in der Stimme des heranwachsenden jugendlichen Geistes sprachen, die sich um die Pubertät herum herausbildet – und idealerweise nie verstummt.
Als ich diese Anthologie zusammenstellte, war ich mir zunächst nicht sicher, was das verbindende Thema sein könnte. Mit einer Ausnahme, Alles , scheint im Zentrum sämtlicher Texte ein Gewaltakt zu stehen. Doch die Gewalt bildet nur die Oberfläche. Worum es geht, ist das, was diese Gewaltakte freilegen. Nach und nach ist mir bewusst geworden, dass alle Geschichten sich um einen wegweisenden Moment im Leben drehen, den Moment, in dem Einsicht gewonnen wird, Einsicht in das eigene Ich oder in einen anderen Menschen. Es geht um Situationen, die offenlegen oder bestimmen, wer wir wirklich sind. Diese Momente gehören alle zu dem, was ich mit Alles meine.
Alles ist so etwas wie ein endloser See der universellen Menschheit. In diesem See liegt eine Wahrheit, die uns alle angeht, über alle Zeiten hinweg, und die sich dem aufdringlichen, flimmernden Spiegelbild der immer präsenteren inszenierten Realität entzieht. Alles ist das Gegenteil von Nichts . Das Nichts ist ein furchtbarer Ort, ein Ort, an dem es keine Bedeutung gibt, keine Verbindung zum Dasein, kein echtes Leben, keine echte Liebe – ein Ort, von dem man nur fliehen kann. Es ist das Gespenst der Bedeutungslosigkeit, dem die Kinder in meinem Roman Nichts so verzweifelt zu entkommen versuchen. Aber wohin? Aufmerksame Leser des Romans wissen, dass die Kinder auf einer Ebene unterhalb der konkreten Ereignisse tatsächlich Alles finden – selbst wenn die Taten, die sie auf ihrer Flucht vor dem Nichts begehen, so grauenvoll sind, dass sie sich über dieses Alles vermutlich nie werden freuen können. Den Lesern (und der Autorin!) sei größeres Glück vergönnt: Alles ist ein Ort, an dem alles mit allem zusammenhängt, alles einen Sinn ergibt. Ein Ort freundlicher, friedlicher warmer Föhnwinde, von Ruhe und Harmonie. Ein Ort ohne Furcht, weil alles Teil ein und desselben Sees ist, des Sees des Seins, des Eins-Seins.
Alles ist der See, den ich anzapfe, wenn ich schreibe. Es ist zugleich die Quelle aller Geschichten in dieser Sammlung sowie aller anderen Texte aus meiner Feder. Beim Schreiben durchdringe ich immer alle meine Charaktere, beim Schreiben lebe ich ihr Leben, ob sie jung sind oder alt, Mann oder Frau, ganz unabhängig von ihren persönlichen Eigenschaften. Mein Gefühl sagt mir, dass ich mit dieser Sammlung auf lange Zeit ans Ende dessen gelangt bin, was die junge erwachsene Stimme in mir zu sagen hat. Das heißt jedoch nicht, dass ich Alles vollständig ausgeschöpft hätte. Im Gegenteil! Alles kann nie geleert werden. Alles gehört der ganzen Menschheit. Alles ist das Sein, das uns allen gemein ist, unsere innere Stimme, das, was zwischen den Zeilen steht. Alles ist das, was wir hören können, wenn wir uns selbst vergessen und wirklich aufmerksam lauschen. Alles ist dort, wo Katzen keine Furcht vor Krokodilen kennen, wo Schildkröten unter ihrem Panzer hervorkommen, wo Wildpferde nicht mehr fliehen.
Alles ist das, worum es geht.
Die Autorin
Janne Teller, 1964 in Kopenhagen geboren, stammt aus einer deutsch-österreichischen Familie. Sie studierte Staatswissenschaften, arbeitete als Konfliktberaterin der EU und UNO in aller Welt, und setzte sich in verschiedenen Krisengebieten vor Ort für die Menschenrechte ein, bevor sie sich 1995 ganz dem Schreiben widmete.
Für ihr literarisches Schaffen wurde Janne Teller vielfach ausgezeichnet. In ihrem Werk, das Essays, Kurzgeschichten, Romane für Erwachsene und Jugendbücher umfasst, kreist sie stets um die großen Fragen des Lebens und löst mit gesellschaftskritischen
Weitere Kostenlose Bücher