Alles - worum es geht (German Edition)
war, und seinen Vater, der der Katze gefolgt war, und auch den Gast, denn in diesem Augenblick gab es auf der Welt nichts als ihn selbst und das Mädchen und den großen Baum und das lustige Lied und Füße, die um den Baum herumliefen mit solchem Tempo, dass sie fast übereinanderstolperten.
»Komm!«, sagte das kleine Mädchen und trat vom Baum zurück.
»Wohin?«
»Nach draußen.«
»Wo draußen?«
»Bloß auf die Straße.« Das Mädchen drehte sich um sich selbst und stieß ein Jauchzen aus.
»Ich darf nicht auf die Straße.« Der Junge zögerte. »Hat meine Mutter gesagt.«
Das kleine Mädchen stampfte ärgerlich mit dem Fuß auf.
»Ja, wenn ich nämlich auf die Straße gehe, dann werde ich von einem Auto überfahren, so wie die Katze, von der sie immer sagt, es sei meine gewesen, auch wenn das gar nicht meine war, diese Katze mit der raushängenden blauen Zunge und dem völlig verkehrten und verdrehten Körper.«
»Wo ist deine Mutter jetzt?«
»Ausgegangen«, antwortete der Junge. »Und vielleicht kommt sie nicht mehr zurück, wenn ich auf die Straße gehe.«
»Ha!«, rief das Mädchen verächtlich. »Mütter kommen immer zurück.« Und als wäre die Sache damit abgemacht, nahm sie den Jungen am Arm und zog ihn mit sich über den Hof in Richtung Straße.
Der Junge wusste nicht, was er tun sollte. Er wagte es nicht, das kleine Mädchen böse zu machen, denn dann würde sie vielleicht weggehen und nicht wiederkommen, aber er traute sich auch nicht, auf die Straße hinauszugehen, zum einen, weil seine Mutter es ihm verboten hatte, zum anderen, weil er den Baum nicht allein lassen konnte. Dem Jungen wurde ganz schwindlig im Kopf, und fast musste er weinen, doch dann blickte er zu dem Baum auf, und genau in dem Augenblick bewegte der Baum seine Äste, so als wollte er ihm Tschüss und Bis bald sagen, und mit einem Mal wusste der Junge, dass es in Ordnung war, dass er ruhig mit dem kleinen Mädchen mitgehen konnte.
»Wo gehen wir hin?«, fragte er, als sie auf der Straße standen und das kleine Mädchen ihn nach rechts zog.
»Nach überall.«
»Wo ist das?« Der Junge war sich trotz allem nicht ganz sicher, ob er wirklich hätte mitgehen sollen, die Welt kam ihm plötzlich so groß und viel zu nahe vor, und außerdem stand der Baum jetzt ganz allein auf dem Hof. Da hüpfte das Mädchen und lachte, und ihre Stimme war so voller Spaß und Freude, dass er mitlachte, ohne zu wissen, warum.
»Überall ist überall und nirgendwo sonst«, sang das kleine Mädchen.
»Überall ist überall und nirgendwo sonst«, wiederholte der Junge, um zu zeigen, dass er genau wusste, wo überall war, und dass er nur aus Jux gefragt hatte.
Eine Weile gingen sie ohne ein Wort nebeneinander her; das Mädchen mit kleinen, schnellen Schritten, der Junge mit etwas längeren, langsameren. Der Junge schaute konzentriert auf alles, woran sie vorbeikamen, damit er es zu einem Teil der Welt machen konnte, die er mit dem Mädchen teilte: die grüne Bank, die roten, orangefarbenen und violetten Blumenbeete, die Reihe gelb gestrichener Häuser, die weißen Lieferwagen auf der Straße und all die parkenden Autos – ein rotes, ein silbernes, ein blaues, zwei schwarze, dann wieder ein silbernes –, den blau gekleideten Radfahrer, der die Straße hinunterflitzte, eine alte Dame mit zwei kleinen weißen Hunden und …
»Ich will einen Lolli!«, rief das kleine Mädchen auf einmal und blieb stehen.
»Ich will auch einen Lolli«, sagte der Junge, auch wenn er sich nicht erinnern konnte, ob er sich aus Lollis etwas machte. »Einen großen will ich!«
»Ich will einen roten Lolli«, sagte das Mädchen.
»Ich will auch einen roten«, sagte der Junge.
»Wie viel Geld hast du?« Sie griff sich in die Taschen.
»Geld?« Der Junge überlegte. Er konnte sich nicht daran erinnern, dass er überhaupt schon einmal Geld gehabt hätte, aber er wusste, was das war, seine Mutter sprach ständig davon. »Ich hab kein Geld«, sagte er. »Meine Mutter sagt, sie will mir keins geben, weil ich es nur verliere, und kaufen soll ich sowieso nichts.«
»Oje, kein Geld. Dann gibt’s auch keine Lollis.«
Das kleine Mädchen sah enttäuscht aus, so als ob plötzlich alle Luft aus ihr gewichen wäre, und der Junge war sich nicht sicher, was er tun sollte, wenn das Mädchen so aussah.
»Wir bekommen schon noch unsere Lollis«, sagte er schnell. Er wollte, dass sie wieder lächelte.
»Wie sollen wir denn an Lollis kommen, wenn wir kein Geld haben? Du bist
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