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Alles - worum es geht (German Edition)

Alles - worum es geht (German Edition)

Titel: Alles - worum es geht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Janne Teller
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der Junge und der Baum zusammen Fußball spielen würden, genau wie die Nationalmannschaft, sie würden die anderen Jungen besiegen, sie würden berühmt werden, und alle Leute würden sie zu Freunden haben wollen. Das Fußballspiel sollte an einem Tag stattfinden, an dem die Sonne schien, die Mutter würde Kekse mitnehmen, der Vater würde zurückkommen, die Mutter wäre nie wieder erkältet, der Vater würde die Katze mitbringen, und der Einzige, der nicht dabei sein würde, wäre der Gast, weil er irgendwie nicht zu diesem sonnigen Tag passte. Trotzdem tat es ihm leid für den Gast, und vielleicht konnte er ja an einem anderen Tag kommen. Vielleicht an einem Regentag, oder vielleicht reichte es auch, wenn es einfach nur bewölkt wäre.
    Der Regen hatte aufgehört. Nur unter dem Baum fielen noch immer Tropfen. Die Mutter hatte ihm etwas zu essen hingestellt, doch der Junge hatte keinen Hunger. Dann hatte sie noch gesagt, er solle sich das Essen einteilen, sie würde erst später zurückkommen. Sie hatte ein schönes Kleid angehabt, die Haare hochgesteckt, und um den Hals trug sie eine farbige Perlenkette. Der Junge war sich nicht sicher, ob es ihm etwas ausmachte.
    »Es dauert nicht lange, bleib einfach hier sitzen und spiel mit deinen Sachen«, sagte sie, bevor sie ging, und der Junge wusste sofort, dass seine Mutter lange wegbleiben würde. Normalerweise ging sie höchstens kurz mit der Wäsche zur Waschmaschine in den Keller, oder sie ging zum Bäcker oder zum Metzger, und dann sagte sie nie, es werde nicht lange dauern. Manchmal sagte sie, sie gehe einkaufen oder sie werde bald zurück sein, manchmal sagte sie auch gar nichts. Doch das geschah meist, wenn er etwas kaputt gemacht oder etwas getan hatte, was nicht richtig war, oder wenn er die falschen Strümpfe angezogen hatte, weil er sich doch nie merken konnte, wie das mit den Strümpfen ging, obwohl die Mutter ihm immer sagte, dass das ganz wichtig sei, denn einmal hatte einer auf der Straße gerufen: »Guckt mal da, der Junge hat zwei verschiedene Strümpfe an, so ein Trottel!« Das war nicht nett, so was zu sagen, selbst wenn er tatsächlich einen braunen und einen grünen Strumpf anhatte, was er merkte, als er an sich hinuntersah. Aber seine Mutter war trotzdem nicht böse auf den fremden Jungen, der das gerufen hatte, sondern auf ihn, weil er sich nicht merken konnte, wie das System mit den Strümpfen funktionierte.
    Jetzt kam die Sonne heraus, und vom Baum tropfte es nicht mehr. Der Junge sah, wie der Baum gähnte und seine Äste der Wärme und dem Licht entgegenstreckte, und mit einem Mal war der Hof voller Freude, die den ganzen Weg vom Asphalt aufstieg, am Baum entlang bis hoch zum Fenster und zum Jungen, und er konnte nicht anders, er musste den Baum einfach anlachen, den Baum und den Hof und die Sonne und den Himmel, der nun durchsichtig und fast ganz ohne Wolken war.
    In dem Moment sah er sie: ein kleines Mädchen mit Rattenschwänzen, die zu beiden Seiten von ihrem Kopf abstanden. Mit ausgestrecktem rechtem Arm und erhobener Hand ging sie auf den Baum zu, so als wollte sie sagen: Guck mal, Mama, ein Baum! Ihre Haare waren ganz hell, fast weiß, und auch ihr Gesicht war weiß, mit roten Backen, wie so oft bei kleinen Mädchen. Sie rannte los, und bei jedem Schritt hüpften ihre Rattenschwänze auf und ab. Sie lachte und sagte etwas, aber der Junge konnte ihre Stimme nicht durchs Fenster hören, er sah bloß, wie ihre Lippen sich öffneten und schlossen, wie um Luft in unterschiedlichen Formen.
    Außer dem kleinen Mädchen war niemand im Hof zu sehen. Vielleicht redete sie mit sich selbst? Wieder lachte sie, und dann sah es so aus, als riefe sie irgendetwas. Sie drehte sich auf der Stelle, immer wieder, immer schneller. Es sah gefährlich aus. Dann blieb das Mädchen stehen und schüttelte kurz verwirrt den Kopf, bevor sie zum Baum ging. Der Junge hielt die Luft an; wenn sie sich jetzt daranmachte, auf den Baum zu klettern, dann wäre er gezwungen, hinunterzugehen und ihr zu sagen, dass sie das nicht dürfe. Aber das konnte er ja nicht, die Mutter hatte gesagt, er solle in der Wohnung bleiben. Zum Glück ging das Mädchen nur um den Baum herum. Wieder öffnete und schloss sie den Mund, dabei klopfte sie auf den Baumstamm. Erst mit der einen, dann mit der anderen Hand. Sie strich mit beiden Händen am Stamm entlang, von oben nach unten, lehnte sich mit der Wange an die Rinde und legte ein Ohr an den Stamm, so als würde sie lauschen, und ganz so,

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