Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Alles - worum es geht (German Edition)

Alles - worum es geht (German Edition)

Titel: Alles - worum es geht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Janne Teller
Vom Netzwerk:
und jetzt sind wir zwei unterwegs, nur wir zwei, und das kommt auch nicht so oft vor. Mein großer Bruder und meine zwei kleinen Schwestern wollten lieber an den Strand, als sich Ruinen anzugucken, also sind sie mit unserer Mutter am Meer geblieben, wo man Tretboote ausleihen und mit anderen Kindern Beachvolleyball spielen kann. Außerdem liegt meine Mutter am liebsten in der Sonne.
    Mein Vater lächelt ohne Lippen und mit zusammengekniffenen Augen, und ich meine, ich hätte ihn schon mal auf die Art lächeln sehen, aber wann und wo, da bin ich mir nicht sicher. Ein Lächeln, bei dem ich den Atem anhalte, auch wenn in meiner Lunge für so viel Luft eigentlich gar kein Platz ist.
    »Ja«, sagt er nun laut zum Händler, ohne meine Antwort abzuwarten, und genau da funktioniert meine Zunge wieder, ich nicke und ein geflüstertes Ja löst sich, zusammen mit der Luft, die ich ganz leise und lautlos zum rechten Mundwinkel herauslasse.
    Doch mein Vater hat sich schon wieder weggedreht, sodass nur der Händler meine Antwort mitbekommen hat. Seine Augen in dem wettergegerbten Gesicht lächeln mit derselben Freundlichkeit wie die Schultern, aber ich will nicht zurücklächeln, hole nur mein Handy aus der kleinen Tasche und tue so, als lese ich eine Nachricht, die es aber gar nicht gibt.
    Der Händler erteilt einen Auftrag, ich sehe zwar niemanden, aber wenig später kommen zwei Jungen mit einem Tablett, auf dem eine Teekanne und niedrige Teegläser mit einem Muster aus kleinen goldenen Rechtecken stehen. Der Jüngere der beiden, der ungefähr so alt wie ich zu sein scheint, schenkt ein und hält meinem Vater das Tablett hin, damit er sich ein Glas nimmt. Der Händler nickt mir zu, ich soll auch eins nehmen, aber ich mag keinen Tee und schüttele den Kopf.
    »Nein danke«, sage ich mit den wenigen englischen Brocken, die ich beherrsche.
    Wir sitzen auf einer Bank unter einem Halbdach, auf einer Art Terrasse, die zu dem offenen Teppichgeschäft gehört. Es liegt an einer Ecke des kleinen Marktplatzes, auf dessen Mitte ein ausgetrockneter Springbrunnen steht. Der Tag war anstrengend. Wir waren schon früh am Morgen aufgebrochen, erst mit dem Taxi von dem kleinen Gasthaus in unserem Dorf nach Bodrum, von dort zusammen mit all den anderen Dänen über Milas nach Ephesos. Auf dem Weg machten wir einmal Halt an einem Restaurant, wo es Frühstück gab – Eier mit einem weißen Käse, der komisch schmeckte – und wo wir Wasser und Pistazien kaufen konnten. Im Bus wurde mir schlecht, aber ich habe mich kein einziges Mal beschwert. Auch dann nicht, als wir stundenlang in der prallen Sonne zwischen den alten Ruinen herumliefen.
    Ephesos war einmal eine riesige Stadt mit einer Bibliothek, Tempeln, Terrassenhäusern, Grabdenkmälern und so etwas Ähnlichem wie Triumphbögen. Auch Theater hatten sie da. Amphitheater, hat mein Vater gesagt. Ephesos war erst griechisch und später römisch, weshalb es europäisch ist und gar nicht türkisch, hat mir mein Vater erklärt. Er wusste alles besser als unser Reiseführer, und ich fand’s wunderschön, zusammen herumzugehen, auch wenn ich mich sonst nicht besonders für Geschichte und alte Sachen interessiere.
    Als Nummer zwei von vieren ist es mir fast unmöglich, meinen Vater mal ganz für mich allein zu haben. In der Regel passiert das nur, wenn ich mir selbst in die Backe beiße, um nicht einzuschlafen, dann hab ich manchmal Glück und die anderen sind schon schlafen gegangen, wenn ich nach unten komme, selbst meine Mutter: Nur mein Vater sitzt dann noch da, mit der Zeitung oder einem Glas Wein, und wir können uns ein bisschen unterhalten, falls er dazu aufgelegt ist. Aber oft passiert das nicht, und heute ist also ein Festtag, noch besser als mein Geburtstag neulich, als ich elf wurde und die ganze Klasse zu Besuch kam. Deshalb gebe ich, die ich sonst so oft, ja fast immer, irgendwas verkehrt mache, mir auch so viel Mühe, lächele viel und beklage mich über nichts und bin in allem mit meinem Vater einer Meinung.
    Sogar als ich über eine mehrere Tausend Jahre alte Treppenstufe gestolpert bin und es anfing zu bluten, habe ich nichts gesagt. Rubine, Rubine , habe ich mir bloß zugeflüstert, so leise, dass ich es selbst kaum hören konnte, während ich die Blutstropfen betrachtete, die an dem welken Unkraut hinunterliefen, das neueren Datums war. Dann bin ich schnell zu meinem Vater gelaufen und hab seine Hand genommen.
    Ich bin nicht gerade klein für mein Alter, aber ich kann mich kleiner

Weitere Kostenlose Bücher