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Alles - worum es geht (German Edition)

Alles - worum es geht (German Edition)

Titel: Alles - worum es geht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Janne Teller
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richtiger.
    »Papa«, flüstere ich trotzdem, aber viel zu leise, er sieht sich nicht nach mir um. Ich versuche es noch einmal, jetzt ein bisschen lauter: »Papa!«, aber er hört mich immer noch nicht, und auch nicht beim dritten Mal. »Papa!«
    Ich trete näher. Auf dem Teppich springen Schatten umher, es ist, als hätten die Schlangen aus dem Muster herausgefunden und würden im Teppichflor herumkriechen, Kamele, Esel und diese elchähnlichen Tiere sind auf der Flucht vor Schlangen und Krokodilen. Ich würde meinen Vater gern fragen, ob er die Kette schön findet und ob er sie mir vielleicht kauft oder mir vielleicht das Geld vorstreckt, sodass ich die Summe nach und nach zusammensparen und die Kette dann selbst bezahlen kann. Oder vielleicht könnten meine Eltern sie auch kaufen und verstecken, als Geschenk zu meinem nächsten Geburtstag? Doch selbst als ich direkt neben ihm stehe und mich fast an ihn anlehne, dreht er nicht den Kopf, sondern schaut immer nur abwechselnd den Teppich und den Händler an. Seine Augen sind kleiner als sonst, die Stirn ist senkrecht gerunzelt, die Mundbewegungen sind merkwürdig straff und eckig, wie bei alten Computergrafiken. Ich sehe auf seine Hand, traue mich aber nicht, danach zu greifen. So stehe ich nur still neben ihm und fahre mir mechanisch mit den Fingern durch die Haare.
    Der Händler sieht einen Moment lang zu mir herüber, eine leichte Bewegung geht durch seine geraden Schultern, und er hebt kurz die Hand zum Hals und lächelt freundlich. Ich wende den Blick wieder meinem Vater zu.
    »Vierhundert«, sagt der.
    »Sechshundert … letztes Wort. Weiter runter ich nicht gehen«, sagt der Händler.
    »Tja, dann eben nicht«, sagt mein Vater und steht auf.
    Ich laufe schnell zurück zu den Schränken, löse die Kette, gebe sie dem jüngeren der beiden Söhne und schüttele den Kopf. Aber trotzdem schaue ich immer weiter den blauen Stein an, selbst als der schon längst wieder hinter Glas im Schrank liegt.
    »Vierhundertfünfzig«, sagt mein Vater. »Mein letztes Angebot.«
    »Trinken wir noch Tee«, sagt der Händler.
    Einige der anderen Touristen sind inzwischen aufgetaucht; sie sind mit ihren Einkäufen fertig und verfolgen die Verkaufsverhandlungen so interessiert, als hinge irgendetwas davon ab. Die braun gebrannte dünne Frau, die alles so reizend fand, findet auch den blauen und goldenen Teppich reizend. Gleich mehrmals sagt sie das, aber außer mir scheint das niemand zu merken.
    Immer weiter gehen die Verhandlungen, mehrmals schenken der Händler und seine Gehilfen neuen Tee ein, bieten auch den anderen Reisenden davon an, die immer zahlreicher werden. Ich wünsche mir bloß, dass mein Vater Ja sagt und bezahlt und wir endlich gehen und den Teppich mitnehmen können. Wir kriegen jedes Jahr einen neuen Computer und fast jedes zweite Jahr ein neues Auto, und auch wenn ich mich mit türkischem Geld nicht auskenne, so teuer kann so ein Teppich doch nicht sein, oder?
    »Hallo!« Der ältere der Jungen winkt mich zu sich herüber, und ich will meinen Vater fragen, ob ich mit den beiden auf den Marktplatz darf, aber er hat immer noch diesen eckigen Mund, und ich lasse es lieber.
    Das Teppichgeschäft ist das letzte in einer Reihe von Läden am Markt. Auf der anderen Seite der Terrassenwand fällt der Berghang steil ab, die nächsten Meter bestehen nur aus steiniger Erde und vertrocknetem Gras. Die Jungen setzen sich nebeneinander auf eine kleine Steineinfassung neben der Terrassenmauer, in den Schatten eines krummen Feigenbaums. Ich setze mich neben den jüngeren. Es ist schön, hier zu sitzen. Es ist warm, aber immer noch merklich kühler als mitten auf dem Marktplatz. Die Stimmen meines Vaters und des Händlers kann ich deutlich hören, aber sehen kann ich sie nicht, und auch wir sind von der Terrasse aus nicht zu sehen.
    Die Jungen beginnen nun ein Spiel mit Steinen. Sie werfen sie in die Luft und versuchen sie wieder aufzufangen, zusammen mit anderen Steinen aus einem Viereck, das sie vorher markiert haben. Ich kenne das Spiel von zu Hause und bin auch gut darin. Aber hier sind die Steine größer, als ich es gewohnt bin, deshalb fallen sie mir am Anfang runter, bis ich mich daran gewöhnt habe. Ich verstehe nicht, was die Brüder untereinander sprechen, aber das macht nichts, auf jeden Fall sind sie lustiger als die Touristenkinder, die auch nicht anders sind als die Kinder zu Hause. Die türkischen Brüder reden mit den Händen und den Augen, und so mache ich es auch,

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