Alles - worum es geht (German Edition)
machen, als ich bin. Falls ich es nicht vergesse, wie es mir sonst oft passiert.
Auf dem Rückweg nach Bodrum nahm unser Bus einen anderen Weg und fuhr über viele enge Straßen, die sich wie Ottern die Berghänge hinauf- und hinunterschlängelten, eine nach der anderen, bis mir fast wieder schlecht wurde. Aber dann erreichten wir endlich das Restaurant in dem kleinen Dorf, das unser letzter Stopp auf dem Ausflug sein sollte. Auf einer Terrasse mit Aussicht über Olivenhaine, kleine Lehmhäuser und Täler, die wie ein bewegtes grünes und braunes Meer aussahen, bekamen wir ein großes Mittagessen serviert. Alle anderen aus unserem Bus waren Ehepaare oder ganze Familien mit Kindern, und anscheinend fanden sie es nett, dass mein Vater mit mir alleine unterwegs war. Vor allem die Frauen machten ein Mordsgetue um uns, und die Mütter brachten ihre Kinder dazu, ihre Süßigkeiten und ihre Limonade mit mir zu teilen, und ich gab mir Mühe, in der richtigen Dosierung brav Ja danke und Nein danke zu sagen, so wie meine Eltern mir das beigebracht haben.
Am liebsten hätte ich meinen Vater ganz für mich allein gehabt, deswegen antwortete ich auf alle Fragen so knapp wie möglich, auch wenn ich gleichzeitig versuchte, höflich zu sein. Aber wir saßen nun mal beim Essen alle zusammen an einem großen Tisch. Ich saß zwischen meinem Vater und einer dünnen braun gebrannten Frau, die alles an mir reizend fand, von meinem gelben Sommerkleid über die hellroten Sandalen und meine unmöglichen, krausen blonden Haare, die zu sehr wie ich selbst sind, die aber heute wenigstens mit einem Gummi stramm zusammengebunden wurden, bis hin zu der Tatsache, dass ich allein mit meinem Vater unterwegs bin. Ganz reizend!
»Inga isst alles!«, prahlte mein Vater im Gespräch mit der Frau und anderen Touristen, während ich an Garnelen mit Schale kaute, die sich zwischen meinen Zähnen festsetzten, und irgendwelche merkwürdigen Gerichte aß, von denen ich nicht mal richtig den Namen aussprechen konnte: Iskembe Corbasi, Güvec oder Köfte. Wenn ich so tat, als würde ich den Blick hinter den Augen schließen, und mir vorstellte, ich wäre ein Schakal in der Wüste, der den ganzen Sommer über nichts anderes hatte, wovon er leben konnte, dann könnte ich sicher alles runterkriegen, egal was.
Nach dem Essen blieben uns noch eineinhalb Stunden bis zur Abfahrt des Busses, so lange konnten wir uns die Kirche anschauen oder die kleinen Läden am Markt oder tun, wozu wir sonst Lust hatten. Der Reiseleiter sagte es zwar nicht, aber es war klar, dass er es am liebsten hätte, wenn wir etwas kauften, weil wir überhaupt nur deswegen in diesen kleinen Ort gekommen waren. Ich fand die Idee gut, denn ich schaue mir gerne Postkarten an und Teegläser und Schmuckkästchen und was sie sonst haben. Nachdem wir kurz die kleine Kirche angesehen hatten, die schon viele Jahre alt – wenn auch nicht so alt wie Ephesos – und außerdem verschlossen war, sodass wir sie sowieso nur von außen betrachten konnten, landeten mein Vater und ich im Laden des Teppichhändlers.
Auf dem Marktplatz war es unglaublich warm, Luft und Sonne vermischen sich miteinander auf eine Weise, dass Arme und Kopfhaut schon nach kurzer Zeit zu jucken beginnen und man kaum atmen kann. Aber hier im Schatten unter dem halben Dach des Teppichladens ist es kühler, es gibt einen Ventilator, der die Luft herumwirbelt, und hier kann man ganz gut sitzen.
Mein Vater und der Händler reden laut und auffallend konzentriert. Ich verstehe nicht, was sie sagen, ich freue mich bloß, dass mein Vater sich so begeistert anhört. Gleichzeitig macht mich das aber auch unruhig, sodass ich nach kurzer Zeit Mühe habe, still zu sitzen, und mit den Beinen hin und her schaukle, damit ich nicht plötzlich aufspringe und etwas tue, was ich nicht will. Doch dann kann ich trotzdem nicht mehr still sitzen, und ich rutsche von der Bank und hocke mich wieder neben den Teppich, präge mir das Muster ein, die Strauße, Schlangen, Krokodile und Fantasietiere, dicke Eidechsen, oder sind es dünne Schildkröten, Kamele und Esel. Außerdem eine Menge Linien, die an ein Labyrinthspiel erinnern, bei dem nur die Steine fehlen. Einige rote und helle grünbraune Tiere ähneln sogar Elchen, wobei ich nicht glaube, dass es in der Türkei Elche gibt, also sind sie wohl was anderes. Oder stellen sich die Türken vor, sie hätten Elche, so wie wir im Norden uns an dunklen Wintertagen, wenn nasser Schnee fällt und es draußen
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