Alles - worum es geht (German Edition)
hässlich und matschig und eisig ist, Sonne und warme Badestrände vorstellen?
Der Teppich leuchtet direkt, so schön ist er. Ich weiß, dass meine Mutter böse wird, trotzdem hoffe ich, dass mein Vater sich mit dem Händler über den Preis einig wird und wir den Teppich mitnehmen können. Wer so einen Teppich zu Hause hat, bei dem ist sozusagen alles perfekt, selbst wenn man selbst vielleicht nicht so ist. So geht es mir mit allem Schönen, mit Dingen, die weich und glatt sind. Deswegen wünschte ich mir auch, dass ich glatthaarig und wohlerzogen wäre wie meine Geschwister, die alle drei immer ordentlich aussehen und nicht wilde Haare haben und insgesamt nicht wild sind wie ich und meine Haare, die immer ohne Grund seltsame Dinge tun. Meinen Geschwistern gelingt es deswegen auch leichter, einen guten Platz in den Herzen anderer zu bekommen.
Ich finde nicht einmal in meinem eigenen Herzen immer Platz. Aber der Teppich, der Teppich ist golden und blau und unendlich schön und glatt, und wenn ich ihn nur ansehe, wird mein Herz größer.
Der Händler erzählt etwas über den Teppich, wo er herkommt, was die Muster symbolisieren, wie besonders das Garn ist, und mir wird langweilig. Der Junge, der den Tee serviert hat, sitzt inzwischen auf einem Stapel Teppiche in der gegenüberliegenden Ecke. Immer wieder schaut er aus den Augenwinkeln zu mir herüber, und ich gucke auf mein Kleid, ob es schmutzig geworden ist, und auf meine Zehen, ob sie noch bluten. Und auch wenn er mir nicht auf die Beine guckt, ziehe ich doch mein Kleid ein Stück hinunter, damit es die Knie bedeckt. Dann streiche ich mir mit der Hand über den Kopf, ziehe das Gummi noch einmal stramm, sodass die Haare so glatt und straff wie möglich aus dem Gesicht gebunden sind. Wenigstens das. Der Rest quillt unterhalb des Haargummis hervor, fällt dick und unbändig und viel zu warm auf den Rücken, sodass ich im Nacken schon ganz verschwitzt bin. Meine Mutter will nicht, dass ich mir die Haare kurz schneiden lasse, deshalb habe ich das einmal selbst gemacht. Aber da standen sie mir bloß wie Stachelschweinstacheln vom Kopf ab, da half auch kein Haarband mehr. Also ist es immer noch besser, sie sind lang und lassen sich wenigstens zum Teil bändigen.
Der ältere der beiden Jungen, der bisher bei den Verhandlungen zugehört hat, kommt nun und sagt etwas zu seinem Bruder, der gleich aufsteht. Sie winken mich herüber zu zwei Schränken an der Schmalseite des Ladens, zeigen darauf, dann sehen sie mich an. Die Schränke sind aus dunklem Holz und dickem Glas und voller Schmuck in allen möglichen Farben. Ich kenne gar nicht die Namen all der funkelnden Edelsteine. Goldschmuck gibt es eine Menge, Halsketten und Armbänder, aber auch mehrere Muschelketten, manche sind mit Perlen oder Steinen verziert. Der ältere Junge öffnet den ersten Schrank, holt einige Goldketten hervor und hält sie mir hin, doch ich schüttele den Kopf. Die sind sehr fein und etwas für erwachsene Frauen, aber doch nicht für mich. Nein, mir gefallen die unterschiedlichen Ketten aus Muschelschalen besser, vor allem die mit farbigen Steinen dazwischen. Eine aus grauen und weißen und blauen Muschelschalen, mit einem großen blauen Stein in der Mitte und einem eingravierten Rillenmuster, das ist ganz ohne Zweifel die allerschönste. Ich streiche mit den Fingerspitzen über den Stein, er fühlt sich glatt und weich zugleich an, trotz des eingeschnittenen Musters, das in den Handflächen kitzelt, wenn ich den Stein dazwischen bewege. Irgendwie erinnert mich der Stein an den blauen und goldenen Teppich.
Ich probiere noch ein paar andere Ketten an, aber nur zum Schein, denn ich habe gelernt, dass man sich sein Interesse nicht sofort anmerken lassen darf, und mein Blick geht immer wieder zurück zu der mit dem blauen Stein. Ich probiere sie noch einmal an, und ganz klar ist sie die schönste. Im Spiegel sehen meine grauen Augen mit einem Mal blau und klar aus, man achtet nur noch auf den Stein und nicht mehr auf meine Haare, die von der Hitze noch krauser sind als sonst und an Stacheldraht erinnern. Ich wende den Blick vom Spiegel ab und schaue zu meinem Vater hinüber, will ihn rufen, damit er sich die Kette ansieht, ich habe den Mund schon offen, aber dann breche ich plötzlich ab. Ich blicke von meinem Vater zum Händler und zurück zu meinem Vater. Irgendetwas ist da im Gange, aber ich bin mir nicht sicher, was. Ein bisschen ist es wie ein Fechtkampf, aber natürlich kein
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