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Alles - worum es geht (German Edition)

Alles - worum es geht (German Edition)

Titel: Alles - worum es geht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Janne Teller
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Die Augen zu Boden gerichtet. Ich schreibe das noch einmal. Dieses Mal an eine dritte Zeitung: dass es an der Zeit sei, den Weg zu versperren, der geradewegs in die Hölle führt. Eine Rutschbahn sei sie, diese volksschädliche, fanatische Toleranz. Das darf man ruhig schreiben: dass wir gezwungen sind, das Problem auszurotten, ehe es zu spät ist. Ein für alle Mal.
    Eine Weile war ich still. Es gibt keinen Grund, dass ich etwas sage. Die sprechen im Fernsehen darüber, die ganze Zeit. Über das Problem. Früher sprach niemand über dieses Gehen mit wiegenden Hüften und gesenktem Kopf. Den zu Boden gerichteten Blicken! Jetzt sprechen sie die ganze Zeit darüber. Darüber, wie man auf das Problem reagieren und eine endgültige Antwort finden soll. Was ich für ein lokales Problem hielt, existiert offenkundig im ganzen Land. Im Großen und Ganzen keine Stadt, die sich nicht einteilen lässt in die oberhalb des Bahndamms und die unten am Bahndamm. Anfangs gab es welche, die das nicht sehen konnten. Auch weil Einzelne zu betrügen versuchten. Hoben den Kopf und sahen geradeaus, um nicht als die erkannt zu werden, die sie sind. Das dauerte aber nicht lange. Wenn man genau hinsieht, sieht man es. Wie die unten am Bahndamm immer und überall auf die gleiche Weise gehen: mit diesen wiegenden Hüften, dem gesenkten Kopf, den zu Boden gerichteten Augen. Trotzdem gibt es immer noch solche, die nichts begreifen. Eine offensichtliche Bedrohung der Nation. Sogar hier oberhalb des Bahndamms. Versuche, die Rettungsarbeiten aufzuhalten, indem sie sich mal auf den einen, mal auf den anderen Paragrafen berufen. Landesrecht. Europarecht. Völkerrecht. Und was ist mit unserem Recht? Die haben nichts, woran sie ihren Verrat festmachen können. Nirgendwo steht etwas darüber, dass der Gang mit wiegenden Hüften ein schützenswertes Gut sei oder dass es ein Recht darauf gebe, mit gesenktem Kopf und zu Boden gerichteten Augen zu gehen.
    Inzwischen ist ein nicht wiedergutzumachender Schaden entstanden. Korrumpierung der Nation. Der Freiheit. Im Parlament wird vorgeschlagen, dass verboten werden soll, diejenigen, die mit wiegenden Hüften und gesenktem Kopf und zu Boden gerichteten Augen gehen, zu verhöhnen. Wozu wollen die wohl noch alles Gesetze machen? Bald darf man nichts mehr über Leute sagen, die ihr Bonbonpapier nicht in den Abfallkorb werfen, oder über solche, die mit dem Fahrrad mitten auf der Straße schlingern. Das geht nicht, schreibe ich. Es geht um unsere Zukunft. Unsere Nachkommen. Es gibt Dinge, die müssen gesagt werden. Zum Besten der Nation. Das kann man nicht verbieten. Wir leben oberhalb des Bahndamms. Das schreibe ich an die Zeitung. Mit einer Gesetzesänderung zwingt man die Bevölkerung zu zivilem Ungehorsam. In den Straßen werden Steine geworfen. Flaschen mit entzündlichem Benzin und Derartiges. Dann bekommt nicht nur jeder, der mit wiegenden Hüften und zu Boden gerichteten Augen geht, leicht mal eine brennende Flasche an den Kopf, sondern auch die Politiker. Rottet das Problem aus! Rettet die Nation!, rufen wir. Im Takt. Einzelne Parteien beginnen zu verstehen. Eine sieht ein, dass das Land verloren ist, wenn erst mal alle so herumlaufen, mit wiegenden Hüften und gesenktem Kopf, die Augen zu Boden gerichtet. Eine andere begreift, dass es ein Menschenrecht ist, lernen zu dürfen, aufrecht und mit erhobenem Kopf zu gehen, die Augen geradeaus. Wir sind alle gleich, wie sie sagen. Ihre Gründe sind mir gleichgültig, solange sie das Problem ausrotten. Man ist dafür oder dagegen. Wir sind die Stärkeren. Wir sind die Mehrheit. Wir gewinnen. Das geht aus den Meinungsumfragen hervor. Danach ist es schneller vorbei als erwartet. Die Politiker sehen ein, dass wir recht haben. Das zeigen die Meinungsumfragen. Es geht um die Nation! Das Problem muss ausgerottet werden. Die Demokratie hierzulande funktioniert: Die Bevölkerung wurde gehört. Ein Gesetz zur Ausrottung des Problems ist erlassen worden. Es ist verboten, mit wiegenden Hüften und gesenktem Kopf, mit zu Boden gerichteten Blicken herumzugehen. Ein nationaler Kompromiss. Kliniken wurden im ganzen Land eingerichtet, in denen man kostenlos lernen kann, sich den verbotenen Gang abzugewöhnen, und stattdessen lernt, aufrecht zu gehen, mit erhobenem Kopf und Augen geradeaus. In einem Paragrafen sind verschiedene Formen zu gehen aufgenommen. All das, was man nicht sagen darf. Auch nicht das Problem ausrotten, was unglückliche Implikationen umfasst. Ärgerlich. Nun

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